Wir sind Österreich. Stimmt. Leider.

Das ORF-Konzept von Alexander Wrabetz interessiert irgendwie keinen. Im Kern wird er aber recht behalten.

Über die inhaltlichen Qualitäten des ORF-Zukunftspapiers, das der amtierende Generaldirektor gestern an die Stiftungsräte (und damit an die breite Öffentlichkeit) versandt hat, wird man bis zum 2. April noch Verschiedenes hören. Angeblich wird dort ja auch die eine oder andere Zahl erwähnt. Der „executive summary“, die gestern auch für unsereinen schon zu haben war, kann man jedenfalls nicht den Vorwurf machen, dass sie betriebswirtschaftlich überfrachtet wurde.

Im Gegenteil: Man ist sich bisweilen nicht sicher, ob die Seminarprosa, mit der man reichlich redundant konfrontiert wird, einem Gerd-Bacher-Gedächtnisaufsatzwettsbewerb für Handelsschüler entnommen ist oder den Korrekturfahnen für die nächste Spruchkalender-Edition von „Attac“. Für Letzteres spricht diese Passage:

„Der Gleichschaltung von Meinung und Inhalt, der Fokussierung auf Shareholderinteressen, der Teilung der Gesellschaften in Konsum- und Zielgruppen versus der außerhalb der Marktinteressen befindlichen Gesellschaftsteile können nur abseits des Gewinnstrebens agierende öffentliche Medienunternehmungen entgegentreten. Vor diesem Hintergrund haben die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen Europas Bestand und Zukunft. Sie schaffen jene Öffentlichkeit, für die die Gewinnmaximierung keinen Platz lässt. Für sie ist Programm ,wertvolles Gut‘ und nicht ,beliebige Ware‘.“

Nachdem dieses wunderschöne Statement im Gegensatz zur ORF-Wirklichkeit ungefähr jenes ökonomische Theoriegemisch in schlechtes Deutsch fasst, das man in den einschlägigen Ö1-Vormittagsprogrammen serviert bekommt, könnte das Ding freilich auch hausgemacht sein. Fehlen nur noch die abschreckenden Beispiele für neoliberale Ausbeutung in den turbokapitalistischen Rundfunkanstalten der Elfenbeinküste und anderer bevorzugter Örtlichkeiten der ökonomischen Recherche des Vorzeigesenders.

Aber das ist ebenso eine andere Geschichte, wie das Strategiepapier des Alexander Wrabetz: Es interessiert einfach niemanden. Jedenfalls niemanden, der über die Zukunft des ORF zu entscheiden hat. Der Kanzler und sein Vize haben sich längst auf die personelle Aufteilung des Unternehmens geeinigt. Die kriegen dann auch das Geld, das nötig ist, um die kreative Friedhofsruhe herzustellen, die das strategische Ziel der Großen Koalition unter der Führung von Werner Faymann und Josef Pröll ist: Erst wenn der letzte sogenannte Intellelle begriffen hat, dass diese beiden Supernetten für die Menschen dasein tun und nicht für die Intellellen, wird es mission accomplished heißen, wenn man bis dahin weiß, was das heißt.

Nur kurz zur Erinnerung das Personalpaket, das auf dem Ballhausplatz liegt und bei nächster Gelegenheit den Küniglbergern zugestellt werden soll: Generaldirektor soll Karl Amon werden, weil ihn der Kanzler aus Wien kennt, Fernsehdirektor Richard Grasl, weil ihn der Vizekanzler aus Niederösterreich mag, Finanzdirektor Peter Koren, weil der vor seinem Wechsel zu den Industriellen im Landwirtschaftsministerium politisch sozialisiert wurde. Wer Radiodirektor wird, ist den beiden eher egal, da würde man vermutlich sogar jemanden akzeptieren, der das kann, zum Beispiel Brigitte Wolf aus – yep, Wien.

Was immer man im Einzelnen von den Herrschaften halten mag: Dass die Führung des ORF ausschließlich nach dem Kriterium der persönlichen Nähe zu den Regierenden rekrutiert wird, die ihrerseits den parademokratischen Paralleluniversen Wien und Niederösterreich entstammen, ist schlicht eine Katastrophe. Unter den politischen Rahmenbedingungen, die Pröll und Faymann darstellen, können im ORF nur noch Sklavennaturen oder Zyniker etwas werden. Hoffentlich sind wenigstens zwei der vier Zyniker.

Vermutlich wird die 300-Seiten-Variante von Wrabetz' Papier neben der hölzernen Identitätsprosa der Zusammenfassung auch wirkliche Strukturvorschläge beinhalten. Möglicherweise werden die sogar klug und machbar und zukunftsweisend sein. Aber jeder weiß, dass Wrabetz nicht der Mann ist, der sie umsetzen wird. Sonst hätte er das ja schon gemacht. Dass die Regierung ihn jetzt behandelt, wie man nicht einmal einen Verbrecher behandeln dürfte – beweise deine Unschuld, dann verurteilen wir dich zum Tode –, ist irgendwie auch schon egal. Da wird ein gescheitertes Management erbärmlich behandelt.

Trotzdem wird Wrabetz mit seinem Strategiepapier weit über seine Ära hinaus recht behalten. Denn der Kernsatz seines mission statement für den ORF lautet: „Wir sind Österreich.“ Das stimmt. Leider.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2009)

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