Die Macht dem Wähler, nicht der Partei

ANALYSE. Die EU-Wahl ist in Österreich ein Abklatsch der Nationalratswahl, bei dem es fast nur um nationale Befindlichkeiten geht. Das ließe sich leicht ändern, sagt Simon Hix, Politologe an der London School of Economics.

WIEN.Warum kann man als Österreicher bei den sogenannten „Europawahlen“ nur die Kandidaten der österreichischen Parteien wählen – und nicht einen eifrigen Waliser oder eine wortgewaltige Flamin? Und wieso sind Europawahlen in Österreich bloß ein matter Abklatsch der Nationalratswahlen, bei denen es nicht um europäische Themen geht, sondern um nationale Befindlichkeiten? Simon Hix, Professor für Politikwissenschaften an der London School of Economics, hat im Gespräch mit der „Presse“ eine einfache Erklärung dafür: „Weil die nationalen Parteien das nicht wollen. Sie mögen es, die Europawahlen als Teil ihrer nationalen Kampagnen zu verwenden und Abgeordnete zu nominieren, die sie kontrollieren können. Das ist die Tragödie dieser Wahlen.“

Zwei einfache Wahlreformen

Allerdings keine ausweglose Tragödie. Denn es gäbe zwei einfache Kniffe, mit denen man die EU-Kandidaten dazu konditionieren würde, erstens mehr um ihre Wähler zu werben und das zweitens stärker mit Sachthemen europäischen Zuschnitts zu tun. „Ich würde jeden Staat dazu zwingen, eine Form von Vorzugsstimmenwahl einzuführen“, sagt Hix, der neulich am Institut für Höhere Studien vortrug. Das bedeutet, dass der Bürger nicht bloß zwischen mehreren Parteien wählen kann, sondern gleichzeitig mehrere Kandidaten derselben Parteien um seine Gunst rittern würden. „Dann müssten sie dem Bürger sagen: ,Wähl nicht nur meine Partei, sondern auch mich, denn ich bin ein Experte für dieses und jenes Thema, das dir wichtig ist.‘“

Der zweite Kniff, um die sogenannten „Europawahlen“ zu echten Europawahlen zu machen, bestünde darin, sie mit der Wahl des Präsidenten der EU-Kommission zu verknüpfen. Der wird zwar von den Regierungen mit qualifizierter Mehrheit gewählt, muss aber vom Europaparlament bestätigt werden – ebenso wie sein Team.

Und das tun die Mandatare sehr selbstbewusst – man denke nur an den Italiener Rocco Buttiglione, der 2004 seine Kandidatur für einen Kommissarsposten zurückzog, nachdem ihn das Europaparlament wegen seiner kruden Ansichten zu Homosexualität und der Stellung der Frau in der Gesellschaft ins Visier genommen hatte.

Der Kommissionspräsident werde derzeit wie ein Papst gewählt – er müsse aber wie ein Premierminister gewählt werden, findet Hix.

Darum sollten die Parteien schon während des EU-Wahlkampfes eigene Kandidaten für den Chefsessel der Kommission vorschlagen – die Liberaldemokraten ebenso wie die Sozialdemokraten, die Konservativen ebenso wie die Grünen und so weiter. „So bekämen die Europawahlen ein echt europäisches Element, unabhängig von den nationalen Parteien. Die Medien könnten dann zum Beispiel die Parteichefs fragen, wen sie an der Spitze der Kommission sehen wollen: Barroso? Oder lieber den Kandidaten der Sozialdemokraten? Oder den der Liberaldemokraten?“

Zehn Prozent mehr Wähler

Der Charme dieser Reformen liegt darin, dass sie keiner neuer EU-Verträge bedürften. Denn wie die Wahl organisiert wird, ist Sache der Mitgliedstaaten. In Österreich gibt es, wie bei Nationalratswahlen, nur geschlossene Listen. Zwar gewährt das „Bundesgesetz über die Wahl der österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments“ (Europawahlordnung) die Möglichkeit, Vorzugsstimmen zu sammeln. Bloß führen die erstens nur zu einer Vorreihung auf dem Wahlvorschlag der eigenen Partei, und zweitens sind dafür laut Innenministerium sieben Prozent der auf diese Partei entfallenden Stimmen erforderlich. Diese Hürde hat bisher nur FPÖ-Abgeordneter Andreas Mölzer geschafft – er überholte bei der letzten Wahl Hannes Kronberger.

Hingegen gibt es in Staaten wie Finnland, Dänemark oder Irland dieses von Hix bevorzugte System des „preferential voting“ schon – und es hat nachweislich positive Auswirkungen auf die Demokratie.

Hix hat gemeinsam mit Sara Hagemann von der Ideenschmiede European Policy Centre untersucht, wie engagiert die EU-Kandidaten im Jahr 2004 Wahlkampf betrieben haben und wie gut sich die von ihnen umworbenen Bürger über die Kampagnenthemen informiert fühlten (siehe Internethinweis). Ihr Ergebnis: Wo es offene Wahlsysteme gab, die Wähler also auch zwischen Kandidaten derselben Partei wählen konnten, fühlten sich die Bürger um durchschnittlich zehn Prozent besser informiert als in Ländern wie Österreich.

Das hob die Wahlbeteiligung. Wo die Kandidaten um Vorzugsstimmen rittern mussten, war die Wahlbeteiligung um zehn Prozent höher als dort, wo – wie in Österreich – das Wohlwollen des Parteivorstandes stets wichtiger ist.

APA, EU-Parlament

http://personal.lse.ac.uk/HIX

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2009)

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