Von Sport bis Extremismus: Die Schule wird’s schon richten

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Pflegende Kinder erkennen, Extremismus verhindern und Bewegungsmuffel zu Olympiasiegern machen: Von der Schule wird viel verlangt. Kann sie das leisten?

Und wieder einmal bleibt ein Problem an der Schule hängen: Lehrerinnen und Lehrer sollten erkennen, wenn Schüler ihre Angehörigen pflegen müssen. Das geht aus einer aktuellen Studie zu Hilfsmaßnahmen für pflegende Kinder und Jugendliche hervor (siehe Artikel unten). Im Vorreiterland England sei das bereits Usus: Pädagogen würden sogar speziell geschult, um pflegende Kinder als solche zu erkennen.

Die Forderung ist bezeichnend – weil sie sich in eine ganze Menge an Appellen einreiht. Tenor: Die Schule soll es richten. Zuletzt hörte man das vor allem in Bezug auf Integration und islamistischen Extremismus. Die Pädagogen sollten Grundwerte vermitteln, sie sollten die europäische Werteskala einüben, sie sollten potenzielle Extremisten identifizieren und notfalls melden. Forderungen, die mit Beifall bedacht wurden: Wo, wenn nicht in der Schule, könne, ja müsse man solchen Problemen begegnen?

„Wenn ein Problem in der Gesellschaft auftaucht, das nicht gelöst ist, wird das reflexhaft sofort in die Schule geschoben“, sagt der oberste Lehrergewerkschafter, Paul Kimberger. „Das ist einerseits positiv, weil der Schule und den Lehrern eine hohe Problemlösekompetenz zugestanden wird. Andererseits ist das aber natürlich auch negativ, weil die Erwartungshaltung an die Schule enorm in die Höhe geschraubt wird. Schule wird gefordert und manchmal auch überfordert.“

Olympia-Flop bringt tägliches Turnen

Ein besonders anschauliches Beispiel ist die Bewegung: Dass die heimischen Sportler bei den Olympischen Sommerspielen vor zweieinhalb Jahren ohne eine einzige Medaille nach Hause kamen, führte zu einer heftigen politischen Debatte inklusive mehr als hunderttausend Unterschriften: Man möge mehr Sport in den Schulunterricht integrieren. Mit Herbst wird die tägliche Turnstunde (offiziell heißt sie Bewegungseinheit) zumindest an ganztägigen Schulen tatsächlich Realität.

Bisweilen kommen die Forderungen sogar von den Schülern selbst. Eine deutsche Gymnasiastin brach jüngst via Twitter eine Debatte über den Lehrplan vom Zaun, die dann auch nach Österreich überschwappte: Sie könne zwar in vier Sprachen Gedichte analysieren, habe aber keine Ahnung von Steuern, Mieten und Versicherungen. Die Schule bereite nicht genügend aufs echte Leben vor. Die Reaktionen auf den Tweet waren bisweilen scharf. „Hast du keine Eltern?“, fragte jemand zurück. Frei übersetzt: Muss das wirklich die Schule übernehmen?

Tatsächlich sollen Lehrer – wenn es nach den immer wieder geäußerten Forderungen geht – nicht nur allerhand erzieherische Lücken stopfen, die die Schüler mitbringen, vom Binden der Schuhbänder bis zum Grüßen. Sie sollen den Kindern auch gesunde Ernährung und den richtigen Umgang mit dem Internet beibringen. Pädagogen sollen Missbrauch, Gewalt und Extremismus aufdecken und jetzt auch pflegende Kinder erkennen.

Nun ist die Pflichtschule tatsächlich der einzige Ort in unserer Gesellschaft, den jeder besuchen muss und dementsprechend auch der einzige, an dem man jeden erreicht. Insofern ist es auch weder ganz abwegig noch neu, dass sie für Probleme aller Art herhalten muss. „Dass man von Schule eine gewisse soziale Kultivierungsleistung erwartet, ist kein neuer Gedanke“, sagt Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann. „Ein Hauptgrund für die Einführung der Massenbeschulung war, dass man via Schule Haltung und Tun der Untertanen beeinflussen kann.“ Forderungen wie die nach Extremismusprävention seien aber ein Ausdruck der Hilflosigkeit der Gesellschaft. „Probleme, bei denen man nicht weiß, wie man sie in den Griff bekommen soll, werden da an die Schule delegiert.“

Wirksamkeit von Schule überschätzt

Die Wirksamkeit von schulischen Maßnahmen werde dabei völlig überschätzt, so Hopmann. „Nicht, dass die Schule bedeutungslos wäre, aber gemessen an der Gesellschaft und der Herkunft ist ihr Effekt in solchen Dingen nicht sehr stark. Da wäre Bescheidenheit angesagt.“ Übrigens auch bei den Pädagogen: Diese nähmen den Mund bisweilen selbst recht voll, wenn es darum ginge, was Schule alles leisten könnte – wenn man sie nur ließe.

Es ist höchst an der Zeit, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, was Schule leisten kann und muss – und was nicht. Jugendliche auf den Führerschein vorbereiten (wie ebenfalls schon jemand forderte) muss sie mit Sicherheit nicht. Und ob die tägliche Turnstunde Österreich in Zukunft mehr Medaillen bringt, sei dahingestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2015)

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