Freiheit mit Nebenwirkungen

In den USA diskutiert man nach einem Masernausbruch heftig über bürgerliche Impfskeptiker. In Österreich sollte man zumindest über eine "kleine Impfpflicht" reden.

Wenn Sie eine Frau mit Studienabschluss sind, ist die Chance groß, dass Sie zum Klub gehören: jenem der Impfskeptiker nämlich. Laut einer deutschen Studie, die das Geburtsjahr 2008 untersucht hat, beeinflusst nämlich ein hoher Bildungsgrad der Mutter die Impfwahrscheinlichkeit negativ.

Dass gerade Bildungsbürger bewusst Impfungen verweigern, hat in den USA nach dem jüngsten Masernausbruch zu einem veritablen verbalen Boxkampf geführt. Auch Journalisten begeben sich schimpfend in den Ring. Österreich steht diese Debatte vermutlich ebenfalls bevor. Zumindest weisen die vergangenen Monate bereits ungewöhnlich viele Masernfälle auf.

Allerdings hilft Polemik in der Sache wenig. Vielmehr bestätigt die Härte der Attacke echte Impfgegner nur in ihrem Grundverdacht: Indoktrination, Totschweigen überall. Sie sind damit ja auch nicht allein. Das Misstrauen gegenüber Institutionen gehört derzeit zum guten Ton, die Schulmedizin ist da keine Ausnahme.

Statt sich mit jenen zu matchen, die man ohnehin nicht überzeugen kann, sollte man den Fokus der Bemühungen lieber auf jene richten, deren Impfskepis vor allem einem Fehler im System geschuldet ist: Sie brauchten als mündige Patienten das, wofür der Arzt im Praxisalltag oft wenig Zeit hat: ein Gespräch, das Einwände und Fragen nicht gleich vom Tisch wischt. Zumal die Furcht vor dem Stich in uns allen sitzt: Omission Bias nennt man die Neigung, hier und heute eine Handlung, die mit einem gewissen Risiko verbunden ist, zu unterlassen, auch wenn man damit ein künftiges, größeres Risiko abwenden könnte. Anders formuliert: Wenn man sein Kind impfen lässt, und es gibt Nebenwirkungen, fühlt man sich schuldig. Wenn man es nicht impfen lässt, und es wird krank, ist es quasi Schicksal.

Das gilt umso mehr, als das Risiko der Erkrankung heute nicht mehr so sichtbar wie früher ist, als in Schulklassen noch Kinder mit Poliofolgen saßen. Die Ironie ist, dass erst die Tatsache, dass sich die Mehrheit gegen ansteckende Krankheiten impfen lässt, Impfskepsis möglich macht. Würden alle so handeln wie der Impfskeptiker, könnte er sich sein Verhalten gar nicht leisten. Masern, Mumps und Co. hätten – komplizierte Krankheitsverläufe inklusive – ihr fulminantes Comeback.

Was folgt daraus? Impfzwang für alle? Nein. Die Freiheit, medizinische Eingriffe ablehnen zu können, ist eine fundamentale. Allerdings hat diese Freiheit Nebenwirkungen. Wer sein Kind gegen Masern nicht impfen lässt, erhöht das Risiko für andere, die sich gar nicht impfen lassen können: Säuglinge, Kranke. Sollen sie sich verstecken müssen? Unsere Gesellschaft basiert auf dem Gedanken, dass man möglichst allen die Teilnahme am sozialen Leben ermöglicht. Wenn der Appell an die Solidarität nicht fruchtet, muss und darf man deshalb eine „kleine Impfpflicht“ überlegen. Sprich dass man z.B. in öffentliche Krippen, in denen auch sehr junge Babys sind, nur mit Impfung darf. Dass dieses Argument auch einleuchtet, weist übrigens die eingangs erwähnte Studie nach: Dort, wo es viele Kinderkrippen gibt, steigt die Impfbereitschaft.


ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)

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