Nicht alle Bevölkerungsgruppen in Österreich sind gleich gut gegen Masern immunisiert – somit konnte sich die Krankheit in den vergangenen Jahren verstärkt ausbreiten.
Es geht uns zu gut. Vereinfacht gesagt lässt sich mit diesem Satz zu einem gewissen Teil erklären, warum die Masern in Österreich zuletzt ein Comeback gefeiert haben. Weil nämlich viele junge Eltern als Kinder selbst gegen Masern immunisiert wurden, haben sie die Krankheit nie bekommen – und damit auch nie miterlebt, wie unangenehm sie sein kann. „Die Generation 50 plus, die wusste, dass so etwas nicht lustig ist“, sagt Herwig Kollaritsch vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Med-Uni Wien. „Die Jüngeren hingegen überlegen, ob sich so eine Impfung überhaupt auszahlt.“
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist jene, dass die Immunisierung gegen Infektionskrankheiten wie Keuchhusten und Masern nicht in allen Teilen der Bevölkerung gleich gut ausgeprägt ist. „Es gibt da auch eine soziale Komponente“, sagt Kollaritsch. So seien etwa Kinder mit Migrationshintergrund zum Teil nicht geimpft – aus verschiedenen Gründen. Weil etwa Kinder aus Ex-Jugoslawien in den Wirren des Kriegs nicht mehr routinemäßig geimpft wurden. Von Asylwerbern aus diesem Gebiet ging etwa vergangenen Herbst in Berlin eine Masernwelle aus. Und im Zusammenspiel mit einer niedrigen Durchimpfungsrate in der Bevölkerung konnte sich die hochinfektiöse Krankheit schnell ausbreiten.
Ansteckender als Ebola. Das gehe vor allem deshalb so schnell, weil ein Infizierter im Durchschnitt 15 bis 18 andere Menschen anstecke, sagt Kollaritsch. Bei Grippe seien es nur ein bis zwei, bei Ebola sei die Zahl sogar noch geringer. „Bei einer so hochinfektiösen Krankheit muss die Durchimpfung in der Bevölkerung extrem hoch sein.“ Das von der WHO vorgegebene Ziel liegt bei mindestens 95 Prozent. Ein Wert, der in Österreich in den vergangenen Jahren bei Weitem nicht erreicht wurde. Eine Statistik der Weltbank weist in Österreich bei Kindern zwischen zwölf und 23 Monaten eine Durchimpfungsrate von 76 Prozent auf. Ein Wert, der über die vergangenen Jahre weitgehend konstant ist – und der im internationalen Vergleich ebenfalls sehr schwach ausfällt.
Diese Durchimpfungsraten kommen auf zwei Arten zustande. Zum einen wird gezählt, wie viele Dosen des Impfstoffs abgegeben werden. Zum anderen führen die Bundesländer eine eigene Impfstatistik, die stärker ins Detail geht, weil darin auch erfasst ist, wer genau geimpft wurde und auch, ob es sich um die erste oder die zweite Teilimpfung gehandelt hat. Diese Daten schicken die Bundesländer bis Anfang März an das Gesundheitsministerium, gegen April liegt auf dieser Basis dann schließlich die bundesweite Durchimpfungsrate vor.
Für 2014 sollte sich dann jedenfalls eine höhere Durchimpfungsrate ergeben als in den Jahren zuvor – denn im Frühjahr des Vorjahres startete das Ministerium eine Kampagne (www.keinemasern.at), um Bewusstsein zu wecken. Unmittelbar danach stiegen die abgegeben Impfdosen um 30 Prozent an, heißt es aus dem Ministerium. „Aber kaum beendet, war es schon wieder vorbei“, sagt Experte Kollaritsch. Immerhin sei das Niveau besser als vor der Aktion. „Aber wenn man die Botschaft nicht ununterbrochen trommelt, gerät sie in Vergessenheit.“
Pflicht zur Impfung? Mit einer Impfpflicht, wie es sie zum Teil in anderen Ländern gibt, lasse sich die Rate zwar deutlicher und nachhaltiger erhöhen, glaubt der Experte. „Aber das kann man in einer Demokratie nicht machen, das wäre die Ausübung eines Zwangs.“ Aber, so Kollaritsch, man könnte überlegen, bestimmte Sozialleistungen an die Impfung von Kindern zu knüpfen. Flankiert von guter Aufklärung könnte man so viel erreichen.
Impfung
Masern. Die Immunisierung wird in Österreich in Kombination mit Mumps und Röteln verabreicht. Es handelt sich um eine Lebendimpfung – abgeschwächte Viren werden injiziert.
Für Kinder. Empfohlen wird, Kinder ab dem elften Lebensmonat zu impfen. Erforderlich sind zwei Teilimpfungen mit einem Mindestabstand von vier Wochen. Die Impfung selbst ist Teil des nationalen Impfprogramms und damit kostenlos.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2015)