Auftrag: Siemens verlässt die Siegerstraße

(c) Clemens Fabry
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Hesoun steht unter massivem Druck: Der deutsche Mutterkonzern ist irritiert, nachdem den Österreichern der Großauftrag für Wiener Straßenbahnen durch die Lappen ging.

Manchmal möchte man Mäuschen sein. Zum Beispiel am Donnerstag vergangener Woche. Da war nämlich Siemens-Chef Joe Kaeser in Wien, um seiner Österreich-Tochter einen Besuch abzustatten. Was da wohl so beredet wurde?

Offiziell sind die Informationen dazu denkbar dürr. Er war in Wien, so heißt es, um der Belegschaft seine „Vision 2020“ vorzustellen. Wird schon stimmen. Aber ganz ehrlich: Alles kann das nicht gewesen sein.
Kurz davor hatte nämlich just jener Joe Kaeser angekündigt, dass sich der deutsche Konzern weltweit von 9000 Mitarbeitern wird trennen müssen. Davon werden 3300 Jobs in Deutschland abgebaut. Und der Rest? Welche Siemens-Tochter wird es sonst noch treffen? Etwa Österreich?

Auch am Tag nach Kaesers Besuch gab es dazu keine Informationen. Wolfgang Hesoun, Chef von Siemens Österreich, gab sich zuversichtlich. Seine rund 10.400 Mitarbeiter seien von dem Aderlass eher nicht betroffen, meinte er vor einer Woche. Jedenfalls gebe es dafür „keine Indizien“. Und sein Sprecher legte nach: „Kaeser ist Österreich sehr zugetan.“

Ist er das wirklich? Abgesehen davon, dass Sympathien bei geplanten Rationalisierungen grundsätzlich eine eher untergeordnete Rolle spielen – Kaesers Wohlwollen gegenüber der Österreich-Tochter scheint sich derzeit in engen Grenzen zu halten. Und das hat mit den Ereignissen der letzten Wochen zu tun. Wohlgemerkt: mit für Siemens höchst unerfreulichen Ereignissen.

Seit dem 22. Jänner hat es der Konzern, der immer schon einen gewissen Sieger-Nimbus hatte, schwarz auf weiß: Der Auftrag der Wiener Linien für 156 Niederflurstraßenbahnen im Wert von 562 Millionen Euro geht nicht an Siemens. Sondern an den Konkurrenten Bombardier. Der hatte den Zuschlag zwar schon im Dezember 2014 bekommen, doch Siemens hatte sich damit nicht abfinden wollen – und wandte sich an das Verwaltungsgericht. Und das beschied am 22. Jänner: alles rechtens, der Siemens-Einspruch wurde abgewiesen.
Das schmerzt natürlich. Zumal Siemens mit seinen sogenannten ULF-Straßenbahnen (Ultra Low Floor, Niederflurstraßenbahnen) seit 1998 mit den Wiener Linien im Geschäft ist. Mehr noch: ULF wurde speziell für die Wiener Linien entwickelt. Und jetzt haben die Wiener Siemens mit einem Mal den Rücken gekehrt. Wie kann so etwas bloß passieren?

Das wüsste Joe Kaeser wohl auch liebend gerne. Immerhin ist die Österreich-Tochter weltweites Kompetenzzentrum für den Siemens-Konzern im Bereich Urban Transportation, zu dem naturgemäß auch Straßenbahnen gehören. Und da schafft es das Unternehmen nicht einmal, am Heimmarkt einen sicher geglaubten Auftrag an Land zu ziehen? Das ist kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Österreich-Tochter.
Angeblich hat Kaeser denn auch einen geharnischten Brief an Hesoun geschrieben – was in der Welt von Siemens als schlimmste Kopfwäsche überhaupt zu verstehen ist. Bestätigung gibt es dafür freilich keine, doch am Ende läuft es ohnehin auf eines hinaus: Wolfgang Hesoun steht konzernintern unter massivem Druck, davon darf man getrost ausgehen. Denn ein Fiasko dieser Größenordnung hätte es, so die einhellige Meinung, unter seinen Vorgängern Brigitte Ederer und Albert Hochleitner nicht gegeben.

Dabei hatte Hesoun die Siemens-Leitlinien wirklich brav befolgt. Und die lauten: Vernetze dich politisch bis zum Exzess, lasse diese politischen Kontakte Wunder wirken und übe notfalls politischen Druck auf den Auftraggeber aus.

Kein Wunder also, dass Siemens von Anfang an alles daran setzte, die Ausschreibung durch die Wiener Linien zu verhindern. Schon da wurde – wie auch während des Vergabeverfahrens – immer wieder betont, dass etliche Siemens-Jobs auf dem Spiel stünden. Das Kalkül: Im roten Wien – und also bei den Wiener Linien – würde das schon ziehen. Hat es nicht.

Im Jänner – kurz vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts – wurden überhaupt sämtliche politische Register gezogen. Zuerst meldete sich Behindertenanwalt Erwin Buchinger zu Wort. Der einstige SPÖ-Sozialminister machte sich Sorgen um die „nicht gewährleistete Barrierefreiheit“ der Bombardier-Straßenbahnen. In dasselbe Horn blies wenige Tage der SPÖ-Präsident des Pensionistenverbandes, Karl Blecha. Und schließlich, nachdem das Verwaltungsgericht entschieden hatte, echauffierte sich SPÖ-Volksanwalt Günther Kräuter. Er will die Vergabe jetzt prüfen lassen, was auch immer das heißen mag.

Man sieht also: Politisch hat Siemens die Muskeln ordentlich spielen lassen. Doch Bombardier war auf dem Gebiet auch nicht faul. Das Unternehmen holte sich einen Lobbyisten. Und das war immerhin Josef Kalina, einst Bundesgeschäftsführer der SPÖ.

Politisch war damit so etwas wie eine Patt-Situation hergestellt. Und Siemens musste zusehends erkennen: Das Argument mit den „österreichischen“ Arbeitsplätzen zog nicht mehr so ganz. Bombardier ist nämlich genau so österreichisch oder nicht-österreichisch wie Siemens: Der Mutterkonzern sitzt in Kanada (bei Siemens ist es Deutschland). Doch die Straßenbahnen werden – wie bei Siemens – in Österreich gefertigt. In Linz, Graz und Innsbruck fahren übrigens bereits Straßenbahngarnituren der Marke Bombardier.

Doch Siemens blieb seiner Linie treu. In den Wiener Linien wird erzählt, dass Siemens im Zuge der Vergabe relativ selbstgerecht (um nicht zu sagen: präpotent) aufgetreten sei. Das Unternehmen habe stets mit arbeitsmarktpolitischen Bedrohungsszenarien argumentiert. Man habe beim Anbieter Siemens das Gefühl gehabt, dass zu wenig Augenmerk auf das Produkt gelegt worden sei.

Bombardier habe ein offenes Ohr für Kundenwünsche gehabt. Siemens hingegen habe sich wohl „zu sicher“ gefühlt. Was angesichts zahlreicher technischer Probleme, die die Wiener Linien mit ULF hatten, doch relativ kühn ist. Erst 2012 hatte das Wiener Kontrollamt häufige Störungen und die teure Wartung der Straßenbahngeneration ULF kritisiert: Zeitweise seien 25 Prozent der Garnituren nicht einsatzbereit gewesen.

Im Vergabeverfahren machte Siemens schließlich Zugeständnisse beim Preis. Angeblich kam es zu einer Reduktion von rund 30 Prozent gegenüber den ersten Modellen. Auch das reichte nicht. Immerhin zeigt aber der Preisnachlass, welch Wunder Wettbewerb bewirken kann.

Und jetzt? Einem Sprecher zufolge ist Siemens Österreich gerade dabei, Fehler, die bei der Vergabe gemacht wurden, zu analysieren. Ob noch weitere rechtliche Schritte gegen die Vergabe gesetzt werden, ist noch unklar. Grundsätzlich laute die Devise aber: „Nach vorne schauen“. Heißt: Es müssen neue Großaufträge an Land gezogen werden. Und zwar möglichst rasch.

In den kommenden Wochen bietet sich da eine gute Möglichkeit: Es wird wieder ein höchst attraktives Projekt ausgeschrieben. Allerdings neuerlich von den Wiener Linien. Diesmal geht es um U-Bahn-Züge.

Auf einen Blick

Siemens in Österreich sieht sich als „wesentlicher Wirtschaftsfaktor“ und beschäftigt 10.400 Menschen. Sie erzielten im Geschäftsjahr 2013/14 einen Umsatz von rund drei Mrd. Euro. Allerdings sanken zuletzt sowohl Umsatz als auch Auftragseingänge. Von Wien aus nimmt Siemens Österreich auch die Geschäftsverantwortung für 18 weitere Länder in Osteuropa wahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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