Oscar-Saga: Mythen, Tränen und Skandale

KONZERT: WOODY ALLEN
KONZERT: WOODY ALLENAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Warum ein Deutscher den ersten Oscar erhielt, Walt Disney zum Taufpaten wurde, Marlon Brando eine Squaw auf die Bühne schickte und Woody Allen lieber Klarinette spielte.

Sacheen Littlefeathers denkwürdiger Live-Auftritt vor einem Millionenpublikum sollte eigentlich 15 Minuten dauern, doch er währte gerade einmal 60 Sekunden. Als bei der Oscar-Verleihung am 27. März 1973 in Los Angeles Liv Ullmann den Preisträger für die beste Hauptrolle bekannt gab, erhob sich zu Nino Rotas Klängen von „Der Pate“ eine 26-Jährige in Zöpfen und im Fransenkostüm einer Apachen-Squaw aus den Reihen des Dorothy-Chandler-Pavillons, um für Marlon Brando und dessen Part in Francis Ford Coppolas Mafia-Epos den Oscar entgegenzunehmen. Aus Protest gegen die Darstellung der Indianer und deren Diskriminierung und aus Sympathie für die Besetzung des Ortes Wounded Knee durch die Gruppe American Indian Movement hatte der Hollywood-Rebell die Aktivistin und Schauspielerin gebeten, ein Statement zu verlesen.

In den Applaus mischten sich Buhrufe. Der Coup verpuffte, der inszenierte Skandal blieb weitgehend aus. Denn der TV-Produzent der Oscar-Gala zwang die Tochter eines Apache-Indianers, die mit bürgerlichem Namen Marie Cruz hieß, sich kurz zu fassen. Erst hernach trug sie Brandos 15-seitiges Pamphlet vor Journalisten in den Katakomben des Saals vor, Monate später erschienen Aktfotos Littlefeathers im „Playboy“ – und damit hatte es sich.


The show must go on. Das notorisch liberale Hollywood zeigte dem Bürgerrechtsaktivisten Brando, einem Mitstreiter Martin Luther Kings, die kalte Schulter. Die Show ging vor, nichts sollte den Ablauf der Oscar-Gala stören – nicht einmal der politisch motivierte Egotrip des größten Filmschauspielers seiner Zeit, der in „Der Pate“ ein glanzvolles Comeback als Don Vito Corleone gefeiert und sich in Bernardo Bertoluccis gerade erst angelaufenem Skandalfilm „Der letzte Tango“ in einem physischen wie psychischen Parforce-Akt entblößt hatte. 20 Jahre zuvor hatte Hollywood den Jungstar drei Mal in Folge für den Hauptrollen-Oscar nominiert – und stets übergangen –, ehe es ihn 1955 in Elia Kazans „Die Faust im Nacken“ doch prämierte. Zwischendurch war Marlon Brando immer wieder abgetaucht auf die Insel Tetiaroa, ein Atoll nahe Tahiti, das er nach den Dreharbeiten zu „Meuterei auf der Bounty“ zum Refugium erkoren hatte.

Der Zweite Weltkrieg war zu Ende, und in Hollywood brach eine goldene Ära an. Die Übertragung von der Verleihung der Goldstatuetten, 35 Zentimeter groß und vier Kilo schwer, ging 1953 in den USA erstmals live über die TV-Schirme, moderiert von keinem Geringeren als einem späteren Präsidenten: Ronald Reagan, damals ein B-Movie-Star, Noch-Demokrat und Boss der Schauspielergewerkschaft. „Tinseltown“, so der Spitzname für die Glitzer- und Flitterwelt unter Palmen am Pazifik, zelebrierte sich selbst – und die ganze Welt sollte den Stars bei ihrer Selbstinszenierung zusehen. Die Show fungierte als Startrampe für die Vermarktung von Filmen mit dem Gütesiegel „made in Hollywood“, zugleich hat sie die Geburtsstunde der globalen Glamour-Gala markiert, die heute ein Milliardenpublikum erreicht.

Doch es lag ein Schatten über dem weißen Hollywood-Schriftzug in den Hügeln von Los Angeles. Die „Hexenjagd“ der McCarthy-Ära in den späten 1940er-Jahren erschütterte die Filmmetropole, progressive Regisseure und Drehbuchautoren landeten auf der schwarzen Liste – und es sollte Jahrzehnte dauern, bis einige von ihnen rehabilitiert wurden. Dalton Trumbo, Mitglied der berühmt-berüchtigten „Hollywood-Ten“, der unter einem Pseudonym als Autor von „Ein Herz und eine Krone“, Spartakus“ und „Exodus“ firmierte, erhielt seinen ersten Oscar erst 1975, ein Jahr vor seinem Tod. Als Elia Kazan, Leibregisseur Marlon Brandos und auch James Deans, 1999 schließlich mit einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, verweigerten ihm linke Hollywood-Stars demonstrativ die obligaten Standing Ovations. Der Ex-Kommunist hatte Gesinnungsgenossen beim sogenannten Komitee für unamerikanische Umtriebe denunziert und galt vielen in Hollywood als Persona non grata.


Erste Krise. Die Anfänge der Oscars, eingebettet in ein fast intimes Ambiente, gingen 1929 indessen ohne großes Brimborium und ohne roten Teppich über die Bühne. Nach einer Viertelstunde war die schlichte Zeremonie im Blossom Room des Roosevelt Hotel im Rahmen eines Dinners bereits wieder vorbei, und Emil Jannings hielt einen Goldjungen in den Händen – als erster und bisher auch einziger deutscher Schauspieler. Diese Wahl stand bereits drei Monate zuvor fest. Seinen Welterfolg feierte der Hüne indes erst ein Jahr später in Berlin an der Seite Marlene Dietrichs als lasziver Nachtclubsängerin Lola in „Der Blaue Engel“, der Verfilmung des Heinrich-Mann-Romans „Professor Unrat“.

In Deutschland markierte der Film den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm, wie er zuvor schon Hollywood in eine Krise gestürzt hatte. Wegen besserer klimatischer Bedingungen unter der kalifornischen Sonne und billigerer Produktionskosten waren die ersten Filmmoguln zu Beginn des 20. Jahrhunderts von New York an die Westküste gezogen, in Los Angeles stampften sie Studios aus dem Sand. Streiks, die Macht der Gewerkschaften, die Erfindung des Radios und eine Reihe von Skandalen brachten Hollywood allerdings so sehr in Verruf, dass Mitte der 1920er-Jahre die Kinobesucher auszubleiben begannen.

Um das angekratzte Image aufzupolieren, hat Louis B. Mayer, der mächtige Boss von Metro-Goldwyn-Mayer, zusammen mit Branchengrößen wie Douglas Fairbanks, Mary Pickford und Cecil B. DeMille die Academy of Motion Picture Arts and Sciences geschaffen, deren Mitglieder noch heute die Preisträger küren. Die ehrwürdige Akademie sollte den Film als quasi originäre US-Schöpfung zur Kunst erheben und eine Institution als weltweite, wenngleich umstrittene Instanz etablieren.

Zum Markenzeichen der Traumfabrik wurde die Trophäe allerdings erst einige Jahre später, als sie einen Spitznamen verpasst bekam. Und es wäre nicht Hollywood, würden sich darum nicht mehrere Mythen ranken. Faktum ist, dass Walt Disney bei seiner Dankesrede 1932 erstmals die Bezeichnung Oscar in den Mund genommen hat. Um die Ehre der Taufpatin stritt sich indessen die Diva Bette Davis, die sich an ihren Mann, den Bandleader Oscar Nelson, erinnert fühlte. Zehn Mal war sie nominiert, zwei Mal nahm sie die Goldstatuette in Empfang. Stichhaltiger klingt der Anspruch der Academy-Sekretärin Margaret Herrick, bezeugt von einem Filmkolumnisten: „Er sieht ja aus wie mein Onkel Oscar“, soll sie beim Anblick des Goldfigur spontan ausgerufen haben. Es dauerte bis 1939, dass die Academy die Auszeichnung dann auch offiziell als Oscar titulierte.

Drei Mal erzwangen äußere Umstände eine Verschiebung, darunter 1968 das tödliche Attentat auf Friedensnobelpreisträger Martin Luther King – heuer Hauptfigur in „Selma“ – und 1981 der Anschlag auf Präsident Reagan. Die Geschichte der Oscars ist voller ekstatischer Auftritte, tränenschwangerer Peinlichkeiten, Eklats und brüskierter Stars, eine Chronik langweiliger Dankesreden, magischer Momente und exhibitionistischer Roben. Im Glückstaumel eilte Roberto Benigni 1999 über die Stuhlreihen auf die Bühne; „Shame on you, Mr. Bush“, brüllte 2003 Dokumentarfilmer Michael Moore nur wenige Tage nach Beginn des Irak-Kriegs. Jane Fonda, wegen ihrer Kritik am Vietnam-Krieg als „Hanoi-Jane“ verschrien, erklärte 1971 lapidar: „Es gäbe viel zu sagen, aber ich sage nichts. Nur danke.“ Vanessa Redgraves Plädoyer für die Palästinenser provozierte dafür Buhrufe.

Nur einen ließ die Aufgeregtheit unberührt. Obwohl 19 Mal nominiert, blieb Woody Allen der Zeremonie meist fern. Stattdessen pflegte der verschrobene Regiestar ein Ritual. Montags, lange Jour fixe der Oscar-Gala, war er unabkömmlich: Mit seiner New Orleans Jazz Band spielte er Klarinette im New Yorker Carlyle Hotel. Als er den Oscar dann persönlich entgegennahm, sagte er: „Herzlichen Dank, das entschädigt wenigstens für die Leibesvisitation.“

FAKTEN UND ANEKDOTEn

Katharine Hepburn erhielt den Oscar als beste Hauptdarstellerin vier Mal, Meryl Streep bisher drei Mal (bei 19 Nominierungen). Bei den Hauptdarstellern teilen sich Jack Nicholson, Daniel Day-Lewis und Walter Brennan mit drei Oscars die Ehre der meisten Auszeichnungen.

Nie mit einem regulären Oscar prämiert wurden indessen Charlie Chaplin, Alfred Hitchcock, Richard Burton oder Peter O'Toole.

Vivien Leighs Oscar für „Vom Winde verweht“ erzielte bei einer Versteigerung bei Sotheby's die Rekordsumme von 563.000 Dollar.

„Komm auf die Bühne, Frank.“ Den „schrecklichsten Moment seines Lebens“ erlebte der Regisseur Frank Capra 1935, als er auf das Podium schritt. Die Aufforderung galt jedoch Frank Lloyd. Ein Jahr Jahr später holte Capra den Oscar schließlich für „Es geschah in einer Nacht“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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