Formel 1: Das Idyll vor dem Aufheulen der Motoren

FORMULA 1 - Testing in Barcelona
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Der turbulente Countdown zur Formel-1-WM 2015: Alonso muss auf Geheiß der Ärzte für den Melbourne-GP passen, Teenager und ein Model irritieren und bei Vettel ist alles "im roten Bereich".

Fans der Formel 1 können schon vor dem Start zur neuen Saison am kommenden Sonntag in Melbourne aufatmen. Die Zeit der „wie Kätzchen schnurrenden Magermotoren“ scheint vorbei, aber selbst wenn der nun etwas lauter klingende Sound der Motoren bei Weitem noch immer nicht an frühere Tage herankommt, es ist zumindest ein wichtiger Schritt vollbracht. Die neuen Hybrid-Antriebe verleihen ihrer Disziplin wieder etwas mehr Gehör, manch Auspuff wurde dafür sogar verkürzt, es gibt höhere Drehzahlen – es fehlen also nur noch Spannung, Überholmanöver und Siegertypen.

Was für ewige Kritiker des Ecclestone-Zirkus wie ein frommer Wunsch klingt, ist für Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda beschlossene Sache. Der Wiener, 66, ließ nämlich nach dem Ende der Testfahrten in Barcelona und Jerez aufhorchen. Der dreifache Weltmeister sah seine Mercedes-Mannschaft, angeführt von Weltmeister Lewis Hamilton, naturgemäß in der Favoritenrolle. Doch der Abstand zur Konkurrenz sei geringer geworden, und von der Dominanz, mit der die Silberpfeile in der vergangenen Saison zu sechzehn Siegen in 19 Rennen und damit zur Fahrer- und Konstrukteurs-WM gefahren sind, soll nicht mehr viel übrig geblieben sein.

Es klang nicht wie ein PR-Gag, um der neuen F1-Saison Spannung zu verleihen, sondern als tatsächliche Bestandsaufnahme des dreimaligen Weltmeisters. Er sagt: „Es wird nicht nur um Mercedes gehen in dieser Saison. Die Dominanz wird bröckeln. Es gibt nicht mehr nur das Duell Lewis gegen Nico.“


20 Grand Prix. Für gewöhnlich werden jedes Jahr vor dem Start einer Formel-1-Saison – 2015 umfasst die Rennserie 20 Grand Prix, es sind zehn Teams genannt –, die bekannten Fahrer durchleuchtet. So ist es auch heuer: Es wird analysiert, wie Hamilton und Vizeweltmeister Rosberg die Pause absolviert haben. Man blickt beim McLaren-Rennstall hinter die Abdeckungen, um zu sehen, wie sich die Honda-Maschinen auch ohne Rückkehrer Fernando Alonso anlassen. Der Doppelweltmeister von 2005 und 2006 muss für Australien passen, Ärzte rieten ihm aus neurologischer Sicht nach seinem Test-Unfall in Barcelona zu diesem Verzicht. Für ihn springt Ersatzfahrer Kevin Magnussen ein.

Bei Red Bull macht man sich nach einer enttäuschenden Saison Hoffnung, doch wieder zur Nummer eins aufsteigen zu können. Neben Daniel Ricciardo – der Australier hat vergangene Saison drei Rennen gewonnen – kommt der von Toro Rosso hochgelobte Russe Daniil Kwjat (20) zum Einsatz. Und geradezu unverbesserliche Romantiker wollen gesehen haben, dass bei Ferrari neuer Wind und Speed zu sehen sind. Immerhin ist mit Sebastian Vettel der viermalige Weltmeister neu im Team.

Auch Lauda stimmte diesen Eindrücken zu. Laut ihm habe sich die Scuderia im Vergleich zum Vorjahr „um eine Sekunde verbessert“. Allerdings, das gab der Wiener zu bedenken, lägen zwischen Test und Rennen Welten. „Ich glaube erst die Dinge, die ich in Melbourne sehe.“ Nach dem ersten Rennen wisse man mehr. Bei den Tests zeigte sich nur, dass die Rennwagen, die 2015 mit vier statt bislang fünf Triebwerken auskommen müssen, seine Erwartungen erfüllen. Der Sound stimmt, und: Man darf nicht immer alles schlechtreden.“
Teenager und Geldsorgen. Neu sind in dieser WM-Saison einige Fahrer, im Blickpunkt des Interesses stehen dabei vor allem die Piloten des Toro-Rosso-Teams. Max Verstappen ist ein Teenager, er ist 17 Jahre alt und muss somit ein L17-Pickerl an seinem Auto im Straßenverkehr spazieren führen. Auf der Rennstrecke soll er jedoch das lang gesuchte „Zukunftsversprechen“ sein, mit dieser Argumentation wurde er von Gerhard Berger angepriesen und empfohlen. Zusammen mit Carlos Sainz junior – der 20-Jährige ist der Sohn des gleichnamigen zweimaligen Rallye-Weltmeisters – für Furore sorgen. Beide wurden dennoch kurzerhand aus dem Scheinwerferlicht gedrängt. Die Verpflichtung der 26-jährigen Spanierin Carmen Jordá als Lotus-Entwicklungsfahrerin rief die Neidgesellschaft in der Formel 1 auf den Plan. Die einen wittern nur Beauty- und Society-Aspekte, die Blondine bedient all diese Klischees auch mit den nötigen Fotos. Aber Jordá soll auch für den nötigen Antrieb im Rennwagen sorgen. Doch das bleibt vorerst abzuwarten.

Aus Sicht der Promotion und Vermarktung waren es aber taktisch wohlüberlegte Schachzüge. Teenager und ein Model sollten über die großen Probleme der Formel1 hinwegtäuschen. Weiterhin plagen viele Veranstalter im „Kernmarkt“ Europa Geldsorgen, auch Teams wie Force India und Manor mussten jeden Cent zweimal umdrehen. Ihre Starts bei allen 20 Rennen sind noch immer nicht gesichert, obwohl Bernie Ecclestone über seinen Schatten gesprungen ist. Der als geizig bis knausrig verschriene Geschäftsmann gewährte klammen Rennställen einen „Vorschuss“. Das Geld kommt aus dem Einnahmentopf der TV- und Sponsorgelder. Offen war bis zuletzt auch der Deutschland-GP, vorerst ist dem Hockenheimring aber noch kein Finanzier zu Hilfe geeilt.


Der Kindheitstraum. Eine große Hilfe könnte Sebastian Vettels Wechsel von Red Bull zu Ferrari sein. Vergangene Saison war der Deutsche sieglos geblieben, auch das ist miterklärend für sinkende Zuschauerzahlen. Es ist nicht nur für ihn, sondern auch für die Scuderia und damit den Inbegriff des Motorsports ein Neustart. Zumindest die Farbe ist für den Heppenheimer gleich geblieben, rot...

Nach fünf Jahren und vier WM-Siegen betrat Vettel Neuland. Maranello statt Milton Keynes, zu Arbeiten im Werk reiste er aus der Schweiz mit dem Auto an. Teamchef Maurizio Arrivabene und Fiat-Präsident Sergio Marchionne erhoffen sich viel, sie wollen mit Vettel – wie einst mit Michael Schumacher – wieder zur Nummer eins aufsteigen. Für diese Mission wird Vettel mit 30 Millionen Dollar pro Jahr entlohnt, zumindest hält sich diese Summe hartnäckig in der Boxengasse.

Rund um den Deutschen wurde ein eigenes Team aufgebaut, 60 Ingenieure und ein neuer Windkanal samt allen Simulatoren sollen den Mythos Ferrari neu befeuern. Vettels erster Ansprechpartner ist aber ein alter Bekannter. Mit Riccardo Adami arbeitete der Hesse bereits bei Toro Rosso. Er führte ihn in Monza 2008 zum Sieg.

Bereits vor dem Saisonstart in Melbourne scheint eine ungewohnte Eintracht bei der Scuderia zu herrschen. Mit Kimi Räikkönen scheint Vettel zu harmonieren, und er bekennt sich auch zur „Verwirklichung meines Kindheitstraumes“. Es mutet idyllisch an, doch der große Katzenjammer ist gewiss, sollte in Australien ein Fehlstart unterlaufen.

Darum bittet der Deutsche auch unaufhaltsam um Geduld, eine Gabe, die den sportbegeisterten und Ferrari-verrückten Italienern nur äußerst schwerfallen wird. Von ihm und dem SF15-T, wie sein Rennwagen mit Startnummer fünf genannt wird, wird sofort Erfolg verlangt. Allerdings, Alonso wurde im Vorjahr nur Sechster, Räikkönen nur Zwölfter, die direkte Vorgabe ist also durchaus zu bewältigen.

Teamchef Maurizio Arrivabene hat zwei Grand-Prix-Siege als Ziel ausgegeben, Vettel selbst ist seit November 2013 sieglos. Es wäre sein 40. GP-Sieg – es würde die 21-monatige Wartezeit im Lager der „Rotten Göttin“ schlagartig beenden. Vettel hat sich noch nie in seiner F1-Karriere, die 2007 in Indianapolis für BMW begonnen hat, so lang gedulden müssen. Ferrari wartet seit Mai 2013. Man wäre also aus dem Häuschen, würde er auf Anhieb siegen. „Ich bin aber nicht so verrückt, jetzt die Ziele zu ändern“, sagte Arrivabene, ein ehemaliger Tabak-Manager. „Aber wenn wir viermal in dieser Saison gewinnen, laufe ich barfuß auf die Hügel von Maranello.“

Steckbrief

1987
wird Sebastian Vettel in Heppenheim geboren. An der Wand hingen Schumacher-Poster – er wollte schon als Kleinkind Rennfahrer werden.

2007
bestreitet er das erste Formel-1-Rennen, er fuhr seitdem für BMW-Sauber, Toro Rosso, Red Bull und nun für Ferrari.

2008
gewann er sein erstes Rennen, den GP von Monza. Bis dato feierte er 39 GP-Siege.

2010
krönt er sich und Red Bull zum Weltmeister. Es folgen weitere WM-Triumphe, Vettel ist auch 2011, 2012 und 2013 die Nummer eins.

Privat
Seit der Schule ist er mit Hanna Sprater liiert, beide haben eine Tochter und leben in Ellighausen, Schweiz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2015)

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