Ukraine: Russische Mythen zur Krim-Annexion

Erster Auftritt nach zehn Tagen: Russlands Präsident, Wladimir Putin.(c) Reuters
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Ein Doku-Drama des russischen Staatsfernsehens verspricht die Wahrheit über die Krim-Übernahme. Doch die Darstellung der Ereignisse ist manipulativ – und mitunter schlicht unwahr.

Wien. Ein Jahr nach der Krim-Annexion verspricht eine Produktion des russischen Staats-TV, Licht in die Vorgänge vom Februar/März 2014 zu bringen. „Krim – Der Weg in die Heimat“ lautet der Titel der zweieinhalbstündigen Dokumentation des Journalisten Andrej Kondraschow, in der Präsident Wladimir Putin ausgiebig zu Wort kommt. Der Film beginnt mit Glockengeläut, nächste Szene: Helikopter am Nachthimmel. Das Opus ist mehr Drama als Doku: Eine Vielzahl von Szenen wird nachgestellt – dabei hätte man ebenso gut Archivmaterial von 2014 sichten können. Laut Putins Darstellung wurde die Krim-Operation in der Nacht vom 22. auf 23. Februar 2014 geplant, um „das Leben des ukrainischen Präsidenten zu retten“. Der flüchtige Viktor Janukowitsch sollte angeblich „vernichtet“ werden. Ein Faktencheck.

 

1. Das „Pogrom von Korsun“

Im Film wird behauptet, es habe in der Ukraine eine „Menschenjagd auf Andersdenkende“ stattgefunden. Dies hätte ein russisches Eingreifen auf der Krim gerechtfertigt. Die Doku schildert einen Vorfall vom 20. Februar ausführlich. Zur Erinnerung: Damals war Janukowitsch noch im Amt.

Sogenannte Tituschki (Pro-Janukowitsch-Schläger) aus der Krim seien an einer Straßensperre im Gebiet Tscherkassy von Nationalisten aufgehalten worden. Nach Darstellung des Films wurde der Fahrer erschossen, die Männer am Boden gezwungen, kniend Glassplitter zu essen, ihr Bus in Brand gesetzt. Kondraschow behauptet, dass das Kiewer Innenministerium im sogenannten Pogrom von Korsun von sieben Toten und mehr als 20 Verschwundenen ausgeht. Namen werden keine genannt.

Das Innenministerium der Krim dementierte bereits einen Tag später diese Meldung. Ukrainische Medien und Amateurvideos bestätigen Folgendes: Reifen des Busses wurden aufgeschlitzt, das Fahrzeug in Brand gesetzt, die Janukowitsch-Unterstützer angehalten. Von der Erschießung eines Fahrers keine Spur – und auch sonst von keinen Toten. Lokalmedien berichteten damals, dass die 40 Pro-Janukowitsch-Aktivisten ein Autobus mit Polizeikräften begleitet habe. Beim Anhalten der Kolonne sei ein 40-jähriger lokaler Einwohner von einem Jeep überfahren worden. Putin bezieht sich jedenfalls direkt auf das mutmaßliche „Pogrom“: „In dieser Situation haben wir verstanden, dass wir die Menschen in ihrer Not nicht alleinlassen können.“

 

2. Der Geisterzug des Rechten Sektors

Der Film stellt die Übernahme der Krim als reine Verteidigungsmaßnahme dar. Als Illustration dient auch die Erzählung von einem angeblichen Zug, in dem „bis zu den Zähnen bewaffnete“ Aktivisten des ultranationalistischen Rechten Sektors nach Simferopol reisen wollten, um die Krim heimzuholen. Tatsächlich hatte der Aktivist Ihor Mosijtschuk am 24. Februar 2014 einen „Zug der Freundschaft“ angedroht. Konkrete Pläne wurden nicht gefasst. Laut Doku stand die Ankunft am 28. Februar abends bevor. Die „Selbstverteidigung der Krim“, so zeigen nachgestellte Szenen, erwartete die ukrainischen Nationalisten mit einem Schilderwall am Bahnhof. Doch Überraschung: Der Zug war leer. In ukrainischen Medien war schon tags zuvor berichtet worden, dass das Führungsgremium des Rechten Sektors entschieden hatte, sich aus der Lösung der Krim-Krise herauszuhalten.

 

3. Geordnete Machtübernahme?

In den Morgenstunden des 27. Februar besetzten Bewaffnete das Krim-Parlament. „Wir mussten sicherstellen, dass sich die Parlamentarier sicher fühlen“, so der Kommentar Putins mit einem Grinsen. Die Wahl des prorussischen Abgeordneten Aksjonow zum neuen Premier sei absolut gesetzesgemäß vor sich gegangen. Zur Erinnerung: Die Abgeordneten (angeblich befanden sich 64 im Saal) mussten ihre Handys abgeben, die Wahl fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und unter der Androhung von Waffengewalt. Das hat auch Igor Girkin, damaliger, im Saal befindlicher Kommandant, zu Protokoll gegeben. Krim-Premier Sergej Aksjonow behauptet im Film, von den Ereignissen überrascht worden zu sein. Dokumente der „Nowaja Gazeta“, in denen er als Ansprechpartner im Falle einer russischen Übernahme der Krim genannt wird, sprechen eine andere Sprache. Manipulativ: Der Film zeigt zu den Ereignissen vom 27. Februar applaudierende Abgeordnete, doch die Aufnahmen stammen – wie im Hintergrund ersichtlich ist – vom 17. März. Fazit: Mit der Wahrheit nimmt es „Krim – Der Weg in die Heimat“ nicht so genau.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2015)


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