Roland Koch: „Ich bin ein Klugscheißer“

(c) Bernhard Uhlig
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Überraschungstäter mit wahnwitzer Komik: Burgschauspieler Roland Koch über Lehre, Praxis und sich selbst.

Am Burgtheater werde ich wohl als profilierter Charakterdarsteller bezeichnet. Ich eigne mich aber nicht so zum Publikumsliebling, spiele oft Figuren, die man nicht liebt, vor denen man ein wenig Angst hat. Aber für viele Menschen bin ich irgendwie ein Spezialist, und sie schätzen das, was ich seit vielen Jahren mache. Ich bin keine Rampensau. Bin ich ein intellektueller Schauspieler? Ich muss über eine Rolle reden. Reden ist wie Treibstoff für mich. Ich bin ein analytischer Schauspieler. Ein Klugscheißer. Angeblich gibt es die intellektuellen Schauspieler, was eigentlich ein Schimpfwort ist, und dann die Bauch-Schauspieler, die man sehr sympathisch findet. Ich kenne keine Schauspieler, die alles aus dem Bauch schaffen. Mein Bauch kann das nicht.“ Das Interview beginnt mit einer typischen Roland-Koch-Suada.

Seit 1999 ist der Schweizer am Burgtheater engagiert, rund zwei Dutzend Rollen hat er gespielt. Auf der Bühne ist er ein Überraschungstäter mit wahnwitziger Komik und „teilweise recht provokanten Soloeinlagen“ (laut Fanklub im Internet). Privat wirkt er wie ein gutaussehender, sympathischer Banker. Am Burgtheater ist er unter anderem in Kleists „Prinz von Homburg“, Schnitzlers „Professor Bernhardi“ und in „Hamlet“ zu sehen. In der Regie von Andrea Breth spielt Koch Hamlets Stiefvater Claudius nicht als Bösewicht, sondern als Realpolitiker, der durchaus fähig ist, die Regierungsgeschäfte zu führen, den Staat voranbringen will. Koch: „Es ist nicht interessant zu glauben, es gibt die Guten und es gibt die Bösen. Claudius stolpert sowieso, das Rad dreht sich, er wird gejagt, letztlich von sich selbst.“

(c) Burgtheater/Reinhard Werner

Ein Stuhl genügt. Seit einigen Jahren ist Koch auch Lehrer am Reinhardt-Seminar. Der Unterrichtsort: ein leerer Raum im ersten Stock der Schule. In der Mitte nur ein Sessel. Koch ist mit dem Fahrrad gekommen, legt den Hut ab, Marke Borsalino, unter der Lederjacke trägt er ein kariertes Baumfällerhemd à la Luis Trenker. Marie-Luise, Schauspielstudentin im dritten Jahrgang, arbeitet an der Rolle der Nina in der „Möwe“ von Anton Tschechow. Es ist eine beliebte Vorsprechrolle für Schauspielschülerinnen in einem Stück, in dem es um Liebe, Träume, Verzweiflung, Langeweile und unerfüllte Wünsche geht. Marie-Luise umkreist den leeren Stuhl, lacht, seufzt, läuft wieder weg. Eigentlich müsste sie – so der Anfang der Szene in Tschechows Theaterstück, an deren Ende ein Schuss fällt – sagen: „Verschließen Sie die Tür, sonst kommt noch jemand.“ Stattdessen sucht sie mit eigenen Worten die Rolle zu erkunden: „In das Nichts fallen lassen, dann ist die Kontrolle weg, keine Instanz mehr im Raum. Der leere Stuhl, sonst nichts. Das Nichts schafft eine Erwartungshaltung, ich habe das Gefühl, ich muss etwas machen. Dieser Stuhl ist jetzt ein Ort der Erwartung geworden.“ In diesen improvisierten Sätzen brodelt es vor Angst, Freude, Ratlosigkeit und immer wieder Kampfeslust. Faszinierend – aber wo bleibt der Text von Tschechow? In der heutigen Unterrichtsstunde kommt er nicht vor. „Manchmal muss man sehr zielgerichtet an einer Rolle arbeiten, etwa für ein Vorsprechen. Diesmal haben wir aber Zeit. Es geht darum, einen bestimmten Prozess in Gang zu setzen“, meint Roland Koch. „Es ist ein assoziatives Umkreisen der Figur. Fettanreicherung für die Rolle. Wie krieg’ ich ein wenig Fleisch an diese Sätze? Die vom Dichter geschriebenen Sätze sind ja immer eine komprimierte Lösung. Ich muss die Sätze umkreisen mit eigenen Formulierungen, eigenen Assoziationen, die man dann weglassen kann. Ich mache das sehr gern auch bei meinen eigenen Rollen.“

Wichtig: Wildes, unniedliches Denken. Den Schrift-
steller Trigorin in der „Möwe“ hat Koch selbst einmal gespielt, unsentimental, ohne irgendein „Russenklischee“. „Wir wissen ja nicht, wie Russen sind, das ist oft nur ein verzerrtes Bild in unserer Fantasie. Samowar, Taiga und so weiter. Ich bin gegen die Folklorisierung dieses Stücks. Man muss herausfinden, inwieweit das Drama ins Heute passt. Es hat mit uns zu tun. Es ist ein aufgerautes Leben, gar nicht niedlich, wie es so oft gespielt wird. Die Leute sind sehr direkt. Und konfliktfähig. Und die, die das nicht sind, saufen halt. Interessante Figuren. Ich liebe Reduktion. Und das ,wilde Denken‘“. Das „wilde Denken“ hat Koch in sechs Semestern an der Zürcher Universität bei Mario Erdheim, Ethnologe und Psychoanalytiker, studiert.

„Ethnopsychoanalyse war Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre als Lehrstoff ganz neu“, erzählt Koch. „Bei Erdheim hat man gelernt, in einer ganz bestimmten Weise über Dinge nachzudenken. Es ging darum, nicht linear zu denken. Interessant ist es, die un-möglichsten Dinge miteinander in Beziehung zu bringen, wie das etwa Michel Foucault gemacht hat. Themen, die man auf den ersten Blick nicht miteinander verbindet, in Verbindung zu setzen und neue Hypothesen aufzustellen. Das hat auch etwas mit Schauspielerei zu tun. Als Schauspieler muss man gewillt sein, eine Figur auch nicht logisch zu erfassen. Man muss wissen, dass es sprunghafte Wechsel in Menschen gibt. Woher diese kommen, weiß man oft nicht. Man sollte dabei nicht immer nach Erklärungen suchen. Ich biete etwas an, ich muss es nicht erklären.“ Danach studierte Koch Schauspiel in Zürich. „Vorher bin ich nur einmal im Theater gewesen, mit 18 Jahren in Schillers ,Don Carlos‘. Ich fand es entsetzlich langweilig. Vielleicht bin ich zum Schauspielberuf über die Lust am Fabulieren gekommen. Das ist in der Ethno-logie auch so, man spekuliert und fabuliert sehr viel. Und das ist auch im Künstlerischen so. Wenn mir Studierende bei der Arbeit an einer Rolle sagen: ,Jetzt weiß ich, wie der ist, der ist so und so‘, sage ich, ,ja, aber das Gegenteil auch!‘ Nur so kann man eine Figur entwickeln.“ Suchbewegungen sind wichtig. Die „Lehr- und Wanderjahre“ des heutigen Burgschauspielers waren zunächst auch Suchbewegungen.

(c) Burgtheater/Reinhard Werner

„Tatort“-Komissar. „Ich habe im Schlosstheater Celle angefangen, so wie man früher in Mährisch-Ostrau begonnen hat, alle drei Wochen eine Premiere. Man wusste, dass die Kulturöffentlichkeit sich nicht kümmert. Ich war nie jemand, der von der Schauspielschule direkt auf große Bühnen kommen wollte, das hätte mich erschlagen. Rumpelstilzchen in Celle stand am Anfang meiner Karriere – und da ging es um alles! Eigentlich habe ich Rumpelstilzchen als Richard III. gespielt, vollkommen übermotiviert, böse, laut und scheußlich aussehend. Ich habe mit dieser Figur im Prinzip alle meine späteren Rollen schon vorweggenommen.“ Es folgten deutsche Stadttheater, Landestheater, Staatstheater, Residenztheater und dann die Burg. Längst ist der Schauspieler auch ein Fernsehstar. Große Rollen spielte er unter anderem in „Der Fürst und das Mädchen“ an der Seite von Maximilian Schell und „Geld. Macht. Liebe“.

Seine neueste Serienrolle ist – neben Eva Mattes – der Schweizer „Tatort“-Kommissar Matteo Lüthi. „Kantig, bösartig und grimmig“, schreibt die Kritik. Ab Mai wird wieder am Bodensee gedreht. In der Studiobühne des Reinhardt-Seminars arbeitet Marie-Luise inzwischen an einer Szene zu zweit. Sie spielt die Viola aus Shakespeares „Wie es euch gefällt“, hat eine Pilotenmütze mit Tarnbrille auf und ist als Mann verkleidet. Ihre Partnerin Anna-Lisa, ebenfalls im dritten Jahrgang, hat ein schwarzes langes Kleid an und wunderschöne lange rote Haare (echt). Und wieder geht es um verschmähte Liebe. „In Zweierszenen wie dieser“, erläutert Koch, „müssen die Schüler lernen, aufeinander zu reagieren. Da geht es darum, sich selbst zu ‚haben‘, sich gegenüber dem Anderen abzugrenzen, aber auch deutlich mitzube-kommen, was der Andere anbietet, und ob man mit diesem Angebot vielleicht etwas tun kann. Vielleicht hilft der Impuls von außen, in Fahrt zu kommen. Natürlich zeigen wir das Erarbeitete irgendwann, aber hier geht es darum, Techniken zu entwickeln, wie man sich einer Rolle immer wieder von Neuem nähert. Oft denkt man: ,Ach, was für ein toller Text, aber ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, ich habe keine Gefühle dazu, ich bin viel zu klein.‘ Dann muss man schauen, wie man sich diesem Brocken von allen Seiten nähern kann, ihn aufteilt und dann wieder zusammenführt.“ Klingt qualvoll. Koch: „Man muss es aushalten, über Wochen zu denken: ,Ich bin einfach nicht gut genug.‘ Aber sich immer wieder der Aufgabe stellen, das ist – ganz blöd gesagt – auch Disziplin. Disziplin ist außerdem immer ein gutes Mittel, mit Schmerz, mit Ungenügen umzugehen. Schauspieler haben immer nur sich selbst. Sie wissen: ,Alles, was ich habe, bin ich.‘ Schauspieler stehen immer zur Diskussion. Beim Tischler oder Schreiner sagt man: ‚Irgendetwas stimmt nicht bei diesem Möbelstück.‘ Es kann nachgebessert werden, ist ja nur ein Stuhl. Beim Schauspieler sagt man: Du bist nicht gut genug. Du hast mich nicht interessiert. Du machst so komische Dinge. DU!“

Lachen mit Breth. Koch ist im Schweizer Uezwil geboren und im aargäuischen Muri aufgewachsen. „Schauspieler, die aus der Provinz kommen und auf dem Land aufgewachsen sind, wo niemand etwas mit Theater und Kunst zu tun hat, das gibt es ja kaum noch. Von Frau Breth werde ich ab und zu genötigt, in den Pausen Klassiker in breitem Schweizerdeutsch zu sprechen, das finden die Kollegen immer so hübsch.“ In ihrer Inszenierung von „Zwischenfälle“ lässt Breth Koch eine Szene in seiner Heimatsprache spielen. „Worum quälid si mi ä so?“, sagt Koch als fauler Beamter, der sich vor seinem Chef rechtfertigt. „Di Art und Wiis, wi si med mer rädid, zeigt mer, dass si ned zfrede send met meer!“ Das Publikum biegt sich vor Lachen. Koch: „Man muss ein Nadelöhr finden, um sich in eine Rolle einzufädeln. Das kann auch über die Sprache sein, die man zu Hause gesprochen hat.“ Noch immer hängt im Seminar der berühmte Satz von Max Reinhardt: „Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung“.

Tipp

„John Gabriel Borkman“ von Ibsen im Akademietheater ab 28. 5. ist die nächste Produktion, in der Roland Koch spielt. Davor: „Hamlet“, 5. 4. Schnitzlers „Bernhardi“ (4., 19. 4). Burg.

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