Wirtschaftsforschung: Piketty korrigiert seine Jünger

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Thomas Piketty DEU Deutschland Germany Berlin 07 11 2014 Thomas Piketty franzoesischer und Oeko(c) imago/IPON (imago stock&people)
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Der französische Ökonom warnt vor falschen Schlüssen aus seinem Buch. Das Kapitalwachstum tauge kaum dazu, die Ungleichheit in den USA und Europa zu erklären.

Washington. Mit seinem Buch „Kapital im 21. Jahrhundert“ hat der französische Wirtschaftsforscher Thomas Piketty den Befürwortern höherer Erbschafts- und Vermögenssteuern ein Argumentarium in die Hände gelegt. Erträge aus Vermögen und Kapital würden, auf lange Sicht betrachtet, stets stärker wachsen als die gesamte Volkswirtschaft, hielt der Professor an der Paris School of Economics fest. Das habe vor einem Jahrhundert in den USA, Frankreich, Großbritannien und anderen Industrienationen zur enormen Konzentration von Vermögen in den Händen weniger reicher Dynastien geführt. Und es sorge seit den 1980er-Jahren dafür, dass sich in Europa und den USA der Reichtum erneut in den Händen weniger zu ballen beginne. „Die Reichen werden immer reicher, die Armen ärmer“, dampfte die SPÖ in einer Presseaussendung vom 11.Juni 2014 Pikettys knapp 700 Seiten ein.

In einem für die Maiausgabe der „American Economic Review“ vorgesehenen Aufsatz korrigiert Piketty allerdings die allzu euphorischen Interpretationen seiner Studien. „Ich betone von Anfang an, dass wir zu wenige historische Daten zu unserer Verfügung haben, um definitive Urteile zu fällen“, warnt er in dem Text, den er auf seiner Website vorab veröffentlicht hat. Seine Betrachtungsweise des Verhältnisses zwischen Kapitalrenditen und Wirtschaftswachstum werde „in der Diskussion über mein Buch oft nicht gut erfasst“.

Seine in erster Linie auf historischen Steuerstatistiken fußende Feststellung, dass r (die Abkürzung für Kapitalrenditen) meist größer als g (die Chiffre für allgemeines Wachstum) sei, tauge „nicht als einziges oder auch nur wichtigstes Werkzeug, um die Veränderungen von Einkommen und Reichtum im 20. Jahrhundert zu betrachten, oder um den Pfad der Ungleichheit im 21. Jahrhundert vorherzusagen“, schreibt Piketty.

„Zudem glaube ich ganz gewiss nicht, dass r > g ein hilfreiches Mittel für die Diskussion der wachsenden Einkommensungleichheit ist.“

Explosion der Managergehälter

Die Gehälter von Spitzenmanagern heben seit einigen Jahren vor allem in den USA und Großbritannien gegenüber jenen der restlichen Arbeitnehmer stark ab. Das liege in erster Linie an Angebot und Nachfrage von Bildung und beruflichen Fertigkeiten.

In den USA, schreibt Piketty, sei der Anstieg der Spitzeneinkommen in der Phase von 1980 bis 2010 großteils darauf zurückzuführen, dass der Zugang zu höherer Bildung und beruflicher Qualifizierung für Mittelschicht und Arme zusehends unerschwinglich wurde. Das sei „eine Entwicklung, die von steigenden Studiengebühren und unzureichender öffentlicher Investition verschärft worden sein dürfte“, kritisiert er. Zudem hätten „geänderte Anreize und Normen“ sowie starke Senkungen der Spitzensteuersätze dazu geführt, dass in den USA die höchsten Managergehälter „explodiert“ seien.

„Auf jeden Fall hat der Anstieg der Ungleichheit der Arbeitseinkommen offensichtlich wenig mit r-g zu tun“, notiert Piketty, also mit dem Verhältnis von Kapitalrenditen und Wirtschaftswachstum.

Dieses Phänomen sei heute in den USA stärker ausgeprägt als in Europa, wo höhere Grenzsteuersätze für die obersten Einkommensteile gelten. Die gesamte Einkommensungleichheit (also jene, in die auch Kapitaleinkünfte einbezogen werden), sei heute in den USA „substanziell höher“ als in Europa. Bis zum Ersten Weltkrieg war das umgekehrt, was in erster Linie an der extremen Konzentration des Eigentums an Kapital und der daraus folgenden Einkommen rührte. Die Vermögen allerdings, hebt Piketty hervor, seien heute „viel weniger extrem ungleich verteilt als vor einem Jahrhundert“ – und das, obwohl sich der gesamte Wert privaten Vermögens im Vergleich zur volkswirtschaftlichen Leistung von den Verwüstungen der Weltkriege erholt habe.

Zustände wie vor 1914?

Piketty hält allerdings daran fest, dass Europa und die USA wieder auf jene enorme Vermögensungleichheit zusteuern könnten, die vor einem Jahrhundert zwar als Belle Époque oder Gilded Age romantisiert wurde. Wenn die Kapitalrenditen um jährlich drei statt nur um zwei Prozent stärker wüchsen als die Volkswirtschaft, könnten bald wieder Zustände wie vor 1914 herrschen: Das reichste Prozent der Gesellschaft würde wieder 50 bis 60 Prozent des gesamten Vermögens besitzen statt wie derzeit 20 bis 30 Prozent.

Das führt auf jene Sorge zurück, die Piketty so beschreibt: „Modernes Wirtschaftswachstum und die Verbreitung von Wissen haben es ermöglicht, die marxistische Apokalypse zu verhindern, aber sie haben die tiefen Strukturen des Kapitals und der Ungleichheit nicht verhindert. Der Kapitalismus schafft automatische und untragbare Ungleichheiten, welche die meritokratischen Werte radikal untergraben, auf denen demokratische Gesellschaften fußen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2015)

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