Großbritannien: David Cameron plant bereits seinen Abgang

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Der Premier schließt eine dritte Amtszeit aus - bevor er überhaupt zum zweiten Mal gewählt worden ist. Mit der Ankündigung macht sich Cameron zur "lame duck".

London. Die britische Labour Party wird ihr Glück kaum fassen können. Gerade erst hatten sich die regierenden Konservativen in der Auseinandersetzung vor der Parlamentswahl am 7. Mai einen nennenswerten Vorsprung erkämpfen können, da ließ Premierminister David Cameron eine politische Bombe platzen: „Ich werde nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren“, erklärte der Chef der Konservativen in einem Montagabend ausgestrahlten BBC-Interview. Fünfeinhalb Wochen ehe er sich zur Wiederwahl für eine zweite Amtszeit stellt, macht Cameron sich damit de facto zur „lame duck“.

Was den Premier zu dem vielleicht größten politischen Fehler seiner Karriere bewogen hat, konnten selbst treueste Mitstreiter nicht wirklich erklären. „Der Premierminister wurde etwas gefragt, und er hat eine ehrliche Antwort gegeben“, sagte Fraktionschef Michael Gove. „Er ist eben ein ehrlicher, anständiger Bursche.“ Der frühere Labour-Spindoctor Alistair Campbell bemühte sich gar nicht erst, seine Häme zu verbergen: „Um nichts in der Welt kann ich verstehen, was diese Ankündigung ihm und seiner Partei bringen soll.“ Labour-Politiker Douglas Alexander warf Cameron „atemberaubende Arroganz“ vor: „Offenbar sieht er einen Wahlsieg am 7. Mai schon als sicher an.“ Tatsächlich blieb Camerons Ankündigung schlicht unerklärlich. Aufgenommen wurde sie an einem freien Samstag in seiner Küche in seinem Wahlkreis in Oxfordshire, um die menschliche Seite des Premiers zu zeigen. Statt Sachthemen wird wohl nun Camerons Zukunft den Wahlkampf beherrschen. Wer will schon einem Politiker mit Ablaufdatum die Zukunft des Landes anvertrauen? Die bisher lähmende und uninspirierte Kampagne hat plötzlich ein Thema. Zwar erklärte Cameron: „Ich werde eine volle zweite Amtszeit zur Verfügung stehen“, doch der Kampf um seine Nachfolge ist eröffnet.

Bürgermeister Johnson als Nachfolger?

Dafür nannte der Premier gleich selbst die drei geeignetsten Kandidaten: Innenministerin Theresa May, Schatzkanzler George Osborne und den Londoner Bürgermeister, Boris Johnson. „Großartige Talente“ seien sie alle, beschied ihnen Cameron. Für sich selbst meinte er: „Ich möchte den Job, den wir für fünf Jahren begonnen haben, zu Ende bringen. Zwei Amtszeiten sind wunderbar, drei vielleicht zu viel.“ Diese Position hat Cameron auch als Oppositionsführer vertreten, als er dem damaligen Premier Tony Blair vorwarf, dass jeder Regierungschef mit fortschreitender Amtsdauer „zunehmend verrückt wird“. Aber gerade das Beispiel Blairs zeigt, dass die vorzeitige Ankündigung des eigenen politischen Todes unweigerlich zum Verlust der Macht führt, und Cameron mit der Aussage einen schweren Schnitzer begangen hat: Blair sah sich im Oktober 2004 zu der Ankündigung gezwungen, keine vierte Amtszeit anzustreben. Lähmende Agonie überzog die Downing Street, bis er dann im Juni 2007 endlich seinen Hut nahm.

Es ist nicht das erste Mal, dass Cameron mit riskanten Beschlüssen, von der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands bis zum EU-Referendum, vorprescht. In politischen Kreisen in London wird seit Monaten spekuliert, dass Cameron nach der EU-Entscheidung seinen Hut nehmen werde. Das Referendum wird es aber nur geben, wenn der Premier am 7. Mai die Wahl gewinnt. Dafür standen die Vorzeichen bis Montagabend besser denn je. Das Budget von Schatzkanzler Osborne honorierten die Wähler mit einem Drei-Prozentpunkte-Vorsprung für die Konservativen. Zuletzt brachte der schottische Nationalistenführer Alex Salmond noch die Labour Party gehörig ins Schwitzen, als er verkündete, man werde dem Wunschpartner das Budget „diktieren“.

Blair war 2004 immerhin zu seinem Schritt von seinem Erzfeind Schatzkanzler Gordon Brown gezwungen worden. Der 48-jährige Cameron, der seit 2005 die Tories führt und seit 2010 britischer Premier ist, hingegen tat dies ohne ersichtliche Not und fünfeinhalb Wochen vor der Wahl. Das Verhältnis zu Schatzkanzler Osborne, dem führenden Parteistrategen, galt bisher als ausgezeichnet – bis Montagabend, als Cameron seiner Partei ohne ersichtlichen Grund einen dicken Strich durch die Rechnung machte.

AUF EINEN BLICK

David Cameron ist seit 2010 britischer Premier. Bei den Anfang Mai anstehenden Wahlen bewirbt sich der 48-Jährige für eine zweite Amtszeit. Seine konservativen Tories, die Cameron seit 2005 führt, liegen derzeit in den Umfragen gleichauf mit der oppositionellen Labour Party. Cameron hat nun, ohne ersichtlichen Grund, in einem Interview eine dritte Amtszeit ausgeschlossen – und bereits potenzielle Nachfolger genannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2015)

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