Kenia: Afrikas Krieg gegen den Terror

KENYA GARISSA UNIVERSITY ATTACK
KENYA GARISSA UNIVERSITY ATTACK(c) APA/EPA/DAI KUROKAWA (DAI KUROKAWA)
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Bei einer Geiselnahme in einer Universität wurden mindestens 174 Menschen wurden getötet. 587 Studenten wurden gerettet. Mit dem Großangriff will die somalische Islamistengruppe al-Shabaab ihre Stärke beweisen.

Wien/Nairobi. Die Terroristen kamen noch vor dem Morgengrauen. Am Eingangstor der Universität von Garissa im Osten Kenias erschossen sie am Donnerstag in der Früh zwei Wachleute und stürmten dann, schwer bewaffnet und offenbar wahllos um sich schießend, den Campus. Die Männer drangen bis in die Zimmer der Studenten vor, brachten Dutzende in ihre Gewalt, trennten Christen von Muslimen und verschanzten sich dann mit einer Gruppe Geiseln in einem der Wohnheime. Kenianische Sicherheitskräfte haben die Geiselnahmeam Abend beendet. Mindestens 174 Menschen wurden getötet, viele weitere verletzt. Unter den Opfern seien auch die vier Täter. 587 Studenten wurden gerettet. Nach Angaben des Innenministeriums wurden 79 Menschen verletzt. Wie viele Angreifer es insgesamt waren, blieb zunächst unklar. Nicht aber die Frage, wer sie sind: Zu der Attacke bekannte sich die somalische Gruppe al-Shabaab.

Mit dem Großangriff auf die Universität in Kenia hat sich die Miliz zurückgemeldet, die neben der Boko Haram in Nigeria als die größte terroristische Bedrohung in Afrika gilt. Die Liste ihrer Anschläge innerhalb und außerhalb Somalias ist lang. Besonders Kenia ist ins Visier geraten, seitdem Truppen im Oktober 2011 in Somalia interveniert haben und nun als Teil der Mission Amisom der Afrikanischen Union (AU) gegen die Miliz vorgehen. Beim bisher größten Einzelangriff auf das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi starben im September 2013 fast 70 Menschen. Die Zahl der weniger großen Anschläge ist im vergangenen Jahr gestiegen: Nach Angaben der Polizeibehörden wurden insgesamt 173 Menschen getötet.

Mordanschlag in Uganda

Die Attacken außerhalb Somalias haben bisher stets auf Staaten gezielt, die sich an der AU-Mission beteiligen (siehe Grafik). Der erste Großangriff der Miliz im Ausland traf Uganda im Juli 2010: Bei Attentaten auf eine Sportbar und ein Restaurant während der Übertragung des Fußball-WM-Finales wurden in Kampala 76 Menschen getötet. Der Prozess gegen 13 mutmaßliche al-Shabaab-Attentäter hat erst Mitte März begonnen, die zuständige Staatsanwältin wurde am Montag von Unbekannten erschossen.

Auch die Attacke im kenianischen Garissa dient offenbar der Vergeltung. Doch anders, als sie signalisieren soll, dürfte die Aktion kein Zeichen der Stärke sein: al-Shabaab, die zeitweise den größten Teil von Süd- und Zentralsomalia kontrolliert hat, ist durch die Offensive der AU-Truppen mit US-Unterstützung stark unter Druck geraten. Wichtige Städte, auch die Hauptstadt Mogadischu, sind unter der Kontrolle der somalischen Armee und ihrer Verbündeten. Zuletzt wurde der für die Miliz wichtige Bezirk Masjid Ali Gadud im Süden zurückerobert, die USA haben einen mutmaßlichen Drahtzieher der Westgate-Anschläge und al-Shabaab-Strategen erst kürzlich per Drohne getötet.

Innerhalb der al-Shabaab scheint zudem ein Richtungsstreit ausgebrochen zu sein. Im Herbst vergangenen Jahres hat Washington den als unangefochten geltenden al-Shabaab-Anführer Ahmed Abdi Godane eliminiert, sein Nachfolger, Ahmed Umar, soll nicht dieselbe Unterstützung genießen. Zwar hat sich die Gruppe Anfang 2012 offiziell zum Terrornetzwerk al-Qaida bekannt. Mit dem Aufstieg des Islamischen Staates (IS) und besonders nach dem Treueeid der Boko Haram in Nigeria gegenüber dem IS sollen aber die Stimmen lauter geworden sein, die fordern, sich ebenfalls dem IS anzuschließen. Das soll auf Widerstand bei der Mehrheit der Kämpfer stoßen, die den Feind nur in der somalischen Regierung sehen und keiner globalen Jihad-Agenda anhängen.

Angesichts der häufigen Angriffe – und des darniederliegenden Tourismussektors – hat die kenianische Regierung unter Präsident Uhuru Kenyatta erst vergangene Woche angekündigt, die Kontrollen an der Grenze zu Somalia zu verstärken, mit Pufferzonen, elektronischer Überwachung und verstärkten Patrouillen. „Sollten doch Terroristen in unser Land kommen, dann können sie nicht mehr raus, weil wir sie festnehmen“, hat ein Sprecher des Innenministeriums großspurig angekündigt.

Marginalisierte Muslime

Damit verkennt die Regierung jedoch, dass die al-Shabaab auch in kenianischen Gemeinden Unterstützung genießt. Die 4,3 Millionen Muslime im Land – das entspricht elf Prozent der Bevölkerung – werden seit Langem benachteiligt und diskriminiert, was sich selbst in Regierungsberichten nachlesen lässt. Auf Anschläge haben die Sicherheitskräfte mit teils brutalen kollektiven Bestrafungsaktionen gegen Einwanderer und ganze Bevölkerungsgruppen reagiert – das alles hat sich die Terrorgruppe zunutze gemacht.

Afrikas große Terrororganisationen al-Shabaab und Boko Haram sind durch afrikanische Militäraktionen deutlich geschwächt worden. Doch wie im vernachlässigten Norden Nigerias, wo der neu gewählte Präsident Muhammadu Buhari der Boko Haram gerade den Kampf angesagt hat, ist der Terrorismus auch in Somalia und seinen Nachbarstaaten nicht durch rein militärische Maßnahmen zu gewinnen.

AUF EINEN BLICK

Die Terrorgruppe al-Shabaab verübt seit Jahren Anschläge in Kenia und anderen Staaten, die sich an der Mission der Afrikanischen Union in Somalia beteiligen. Beim bisher größten Anschlag in Kenia auf ein Einkaufszentrum starben 2013 in Nairobi fast 70 Menschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2015)

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