Gerechtigkeit für die Große Koalition

Zum 70. Geburtstag der Volksparteien sind die Bürger der Großen Koalition müde. Und wählen sie dennoch unermüdlich. Wer soll sich da auskennen?

Keiner mag sie. Die Große Koalition als die institutionalisierte Regierungsform in der Zweiten Republik ist querbeet unten durch. Die Bürger murren und knurren, die Medien kritisieren unisono, selbst die Vertreter der beiden Regierungsparteien betonen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass diese Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Christdemokraten so ziemlich alles ist – nur nicht gewünscht. Zu weit lägen die beiden Programme und Klientelen auseinander, um das auf einen einigermaßen zufriedenstellenden Nenner zu bringen.

Dennoch wird jede andere politische Konstellation (und sei es nur auf Landes- oder Kommunalebene) bis heute als Anomalie des politischen Naturzustands empfunden. Abweichungen, wie das schwarz-blau-orange Intermezzo oder SPÖ-Minderheitsregierungen mit blauer Duldung, versetzen oft auch Jahrzehnte danach noch ganze Politikwissenschaftsinstitute in helle Aufregung. Und wenn die politische Konstellation gar nichts anderes hergibt, versucht man die Große Koalition sogar über Landesgrenzen hinweg – wie zwischen Wien und Niederösterreich seit vielen Jahren. Mitten unter den Unzufriedenen, die vielstimmig die zunehmende Verholzung der Demokratie konstatieren, schwebt allerdings weithin sichtbar ein großer schwarzer Bundesadler im Raum und fragt: Wer hat sie eigentlich gewählt?

Denn der Wählerwille, den es als in sich logischen Gestaltungsauftrag natürlich so nicht gibt, hat zuletzt rein gar nichts mehr dem Zufall überlassen. Während in der Vergangenheit immer wieder einmal andere politische Konstellationen links und rechts der Mitte zumindest möglich gewesen wären (vor allem in der Ära der FPÖ von Jörg Haider), hat das ständig artikulierte Unbehagen mit der scheinbar unabänderlichen Zusammenarbeit der beiden Volksparteien zuletzt nur zu einem geführt: zu Wahlergebnissen, die andere Konstellationen als eine Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP politisch ausgeschlossen haben. So, dass man bisweilen das Gefühl hat, nicht nur die Regierenden hätten resigniert, sondern auch die Oppositionsparteien jeden Glauben an eine Regierungsbeteiligung längst verloren.

Bleibt also nur der sich bis zur Gewissheit verdichtende Verdacht, dass es tief im rot-weiß-roten Herzen doch so etwas wie eine Sehnsucht nach der breitestmöglichen Regierungsform gibt. Und dass wir vielleicht das, was wir gern laut Stillstand, Verhaberung und Proporz nennen, dennoch still als Sicherheit, Stabilität und Ausgleich herbeiwünschen.

An dieser Stelle ist dann oft das Argument zu hören, den Volksparteien liefen doch über die Jahrzehnte die Wähler in Scharen davon. Von ehemals über 90Prozent der Wählerstimmen haben sich SPÖ und ÖVP bei der jüngsten Nationalratswahl 2013 nur noch mit Ach und Krach gemeinsam über die 50-Prozent-Linie geschleppt. Stimmt schon irgendwie. Doch so wahr diese Niedergangssaga anhand der nackten Zahlen auch erzählt werden kann, ist wohl nur ein sehr kleiner Teil davon als österreichspezifisch zu verbuchen.

Einerseits erodieren in ganz Europa die großen Volksparteien als Folge einer immer pluralistischeren Gesellschaft mit immer breiterem (und kurzlebigerem) Parteienangebot. Andererseits schaffen es besondere politische Personen oder Konstellationen dann doch jedes Mal aufs Neue, die Zustimmung für eine Partei bei über 40 Prozent zu konzentrieren (wie Angela Merkel derzeit in Deutschland und Wolfgang Schüssel zuletzt 2002 in Österreich). Dazu kommt noch, dass seit dem Verlust der Verfassungsmehrheit jede noch so dünne Mehrheit politisch gleich viel wert ist.


Die Große Koalition ist vielleicht nicht besser als ihr Ruf (was eine Kunst wäre), sicher aber immer noch das, was sich eine Mehrheit der Österreicher wünscht. Das ist als Eingeständnis zum 70.Geburtstag der Regierungsparteien ein wenig ernüchternd. Vielleicht aber auch ein erster Schritt zu überlegen, was man gern anders hätte. Dafür ist noch jede Menge Zeit. 2018 sollten wir es dann aber wissen. Da ist zwar kein Jubiläum, aber wir werden wieder einmal gefragt.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2015)

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