Die Großparteien liegen weiter Kopf an Kopf, die Kleinparteien auf der Lauer.
Auch nachdem in dieser Woche die Parteien ihre Programme für die Parlamentswahl am 7. Mai vorgestellt haben, ist der britische Wähler so unentschieden wie zuvor. Die regierenden Konservativen und die oppositionelle Labour Party halten beide weiter um die 30 Prozent. Da „es nicht so aussieht, als hätten sie noch einen Trumpf in der Hinterhand“, wie Tim Bale von der Queen Mary University of London zur „Presse am Sonntag“ sagt, erscheint es wahrscheinlich, dass keine Partei die absolute Mehrheit gewinnen wird.
Nachdem auch eine TV-Debatte der Oppositionsführer Donnerstagabend keine Änderung des Meinungsbildes brachte, könnte die Ausnahme in Großbritannien damit bald zur Regel werden. 16 der 18 Regierungen seit 1945 hatten eine absolute Mehrheit. In der Wahl 2010 verfehlten die Konservativen diese Mehrheit und regierten in den vergangenen fünf Jahren in einer Koalition mit den Liberaldemokraten, denen am 7. Mai eine Schlappe droht.
Nicht angekommen. Dabei hat die Regierung unter dem konservativen Premier David Cameron durchaus Erfolge aufzuweisen. Das Defizit schrumpfte, die Wirtschaft wächst. Der IWF preist London in höchsten Tönen: Für 2015 erwartet der Fonds ein „solides“ Wachstum von 2,7 Prozent. Obwohl die Konservativen die Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen, ist es ihnen nicht gelungen, den Aufschwung in eine spürbare Wahlkampfführung umzumünzen. „Die Erholung ist bei den meisten nicht angekommen“, meint Bale und ergänzt: „Wohlfühlfaktor sehe ich keinen.“
Doch auch dem Herausforderer Ed Miliband ist kein Durchbruch gelungen. Zwar hat er zuletzt sein Negativimage etwas verbessert, allerdings ausgehend von einer extrem niedrigen Erwartung. „Die Wähler meinen, dass er keineswegs so unfähig ist, wie man ihnen eingeredet hat“, sagt Bale. Dennoch seien die Umfragewerte des Labour-Chefs „schlecht und schlechter als Camerons“. Nur ein Drittel der Wähler sieht ihn als künftigen Premier.
Der Vertrauensverlust der Großparteien nützt Herausforderern von links und rechts, die damit zum Zünglein an der Waage werden. In Schottland könnten die linken Nationalisten (SNP) 56 der 59 Sitze gewinnen und Labour vernichten. Am rechten Rand bedrängt die United Kingdom Independence Party (UKIP) die Konservativen. Auch wenn die Truppe von Nigel Farage (siehe Interview) wegen des Wahlrechts nur eine Handvoll Sitze gewinnen wird, könnte sie in bis zu 100 der 650 Wahlkreise an zweiter Stelle landen und damit entscheidend den Ausgang beeinflussen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)