Der Geheimdienstskandal in Deutschland stiftet Misstrauen in der großen Koalition. SPD-Chef und Vizekanzler wittert die Chance zur Profilierung.
Wien/Berlin. Die Befragung der beiden hochrangigen Adlaten der Kanzlerin durch die Vertreter des parlamentarischen Geheimdienstausschusses fand in einem abhörsicheren Kellerraum des Bundestags an der Spree statt, sodass tunlichst nichts nach außen dringen sollte. Über die Vorgänge in dem Gremium sind die Abgeordneten zu striktem Stillschweigen verpflichtet.
Ex-Kanzleramtsminister Thomas de Maizière und Peter Altmaier, einer seiner Nachfolger als Manager des Regierungsbetriebs in Berlin, konnten also theoretisch frei von der Leber weg plaudern. Im Vorfeld war vor allem Innenminister de Maizière ins Schussfeld der Kritik geraten. Er wies die Anschuldigungen über eine Mitwisserschaft an dem jüngsten Geheimdienstskandal, der engen und weitgehenden Kooperation zwischen dem US-Geheimdienst NSA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND), als „Unterstellungen“ zurück. Die Vorwürfe seien aus seiner Sicht ausgeräumt, ließ er hinterher wissen.
Für den Geschmack Angela Merkels war ohnehin schon zu viel an die Öffentlichkeit gesickert. Zu allem Überdruss hatte Sigmar Gabriel, der SPD-Chef und Vizekanzler, eine Indiskretion begangen, die die Kanzlerin so gar nicht schätzt. Zwei Mal habe er sie gefragt, ob der BND im Auftrag der NSA Wirtschaftsspionage betrieben habe, berichtete Gabriel offenherzig vor aufgepflanzten Mikrofonen aus einem Vieraugengespräch. Beide Male habe Merkel verneint, sagte er. Sollte sich das Gegenteil herausstellen, wäre indessen das Vertrauen belastet, hat der Vizekanzler süffisant hinzugefügt – und so das Gift des Misstrauens in die großkoalitionäre Beziehung geträufelt, die großteils ohne die üblichen Störgeräusche auskommt. Das Verhältnis zwischen Merkel und Gabriel ist sogar von gegenseitiger Wertschätzung gekennzeichnet. „Frau Merkel hat mich garantiert nicht angelogen.“
In den Umfragewerten kommen die Sozialdemokraten weiterhin nicht vom Fleck, sie dümpeln unterhalb der schon niedrigen 30-Prozent-Schwelle. Der Instinkt-Politiker Gabriel witterte endlich die Chance, die unangefochtene Kanzlerin in die Bredouille zu bringen – und sich als Wirtschaftsminister als Schirmherr der deutschen Industrie, insbesondere der Rüstungsindustrie zu profilieren. Der deutsch-französische Konzern EADS war ebenso gezielt im Visier von NSA und BND wie Behörden in Paris, Brüssel und Wien.
„Die sind verantwortlich“
„Das, was hier passiert ist, ist schon skandalös“, polterte Gabriel intern. „Das ist mehr als einer der üblichen und alle paar Jahre wiederkehrenden Affären um Geheimdienste.“ Offen sprach er dann auch von einem „Geheimdienstskandal“, wo Merkel kalmiert, es liege in der Natur der Sache, dass die Arbeit der Geheimdienste geheim sein müsse. Vor der SPD-Fraktion legte der Vizekanzler seine Intention offen: Es gehe darum zu verhindern, dass die SPD in den Geheimdienstsumpf hineingezogen werde. SPD-Abgeordnete kolportierten eine Attacke Gabriels gegen den konservativen Koalitionspartner: „Die sind seit zehn Jahren verantwortlich.“
Ohne Kratzer werden indes die Sozialdemokraten nicht davonkommen. Denn der Geheimdienstausschuss hat auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier zur Einvernahme einbestellt, den Kanzleramtsminister der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder. In dessen Ära fiel die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten der USA und Deutschlands. Kurz nach dem 9/11-Terror hatte US-Justizminister John Ashcroft den SPD-Innenminister Otto Schily mit der Tatsache konfrontiert, dass sechs der Attentäter aus der Hamburger Schläfer-Zelle stammten. Als „beste Außenstelle von CIA und NSA“ rühmte ein Mitarbeiter des Kanzleramts im „Spiegel“ den deutschen Bundesnachrichtendienst – ein „US-Flugzeugträger mitten auf dem Kontinent“.
Nachdem die Kanzlerin tagelang ihren Sprecher zur Schadensminimierung an die Medienfront geschickt hatte, äußerte sie sich erstmals öffentlich zur Affäre. Sie würde im Geheimdienstausschuss Rede und Antwort stehen, versprach sie – freilich nicht, ohne sich vorher mit den USA über Art und Weise ihrer Aussagen abzustimmen, etwa über die genauen Suchkriterien auf die die NSA den BND angesetzt hatte. Opposition und SPD pochen auf volle Offenlegung, die Linkspartei droht gar mit einer Verfassungsklage.
Lieber kleinreden als aufbauschen
Der BND brauchte die politische Rückendeckung, erklärte Merkel, und im Übrigen sei Deutschland auf die internationale Kooperation der Geheimdienste angewiesen. Nicht nur unter Geheimdienstexperten ist es ein offenes Geheimnis, dass die US-Technologie der deutschen überlegen sei und dass die US-Nachrichtendienste wichtige Hinweise für die Vereitelung von Anschlägen geliefert hätten.
Die Sticheleien Gabriels, seine Forderung nach Aufklärung ignorierte Merkel. Das Aufbauschen ist eben nicht ihre Sache, eher schon Kleinreden und Geheimniskrämerei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2015)