Panik nach neuem Beben in Nepal

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Dutzende Tote nach Nachbeben der Stärke 7,3 befürchtet, ganze Dörfer wurden völlig zerstört. Das Epizentrum lag diesmal in der Nähe des Mount Everest.

Kathmandu/Wien. 25 Sekunden dauerte der erste, gewaltsame Stoß. Die Menschen in Kathmandu rannten panisch aus den Häusern auf die Straße, um sich vor den einstürzenden Gebäuden zu schützen. Viele weinten, andere schrieen. Freiwillige bildeten Menschenketten, um Krankenwagen in den überfüllten Straßen den Weg zu bahnen. Etwas später bebte die Erde erneut. Und dann wieder und wieder – insgesamt noch sechs weitere Male.

Am Dienstag zu Mittag (Ortszeit) wurde Nepal von einem heftigen Nachbeben der Stärke 7,3 erschüttert. Die bereits schwer traumatisierten Einwohner des kleinen Himalaja-Staates wurden gestern in den Albtraum vom 25. April zurückversetzt, als der zerstörerische Erdstoß der Stärke 7,8 rund 8000 Menschen tötete und weitere zehntausende Menschen verletzte.

„Viele Menschen sind regelrecht zusammengebrochen, sobald sie auf der Straße in Sicherheit waren. Andere hingegen haben gleich ihre Hilfe angeboten“, schildert der österreichische Helfer Georg Ecker vom Roten Kreuz der „Presse“ die dramatischen Momente in Kathmandu nach dem Nachbeben. „Viele Häuser sind eingestürzt.“ Besonders gefährdet seien jene Gebäude, die bereits beim Beben im April beschädigt worden sind: Wegen der verhältnismäßig schwachen Nachbeben in den vergangenen beiden Wochen seien in den vergangenen Tage viele Menschen in diese „strukturell toten Gebäude“ wieder eingezogen. „Das Wichtigste ist jetzt, die Menschen aus den Trümmern zu bergen, sie zu versorgen“, sagt Ecker.

„Völlig zerstörte Dörfer“

Wie viele Opfer das gestrige Beben gefordert hat, war vorerst unklar. Man rechnet mit Dutzenden Toten und mehr als 1000 Verletzten. Vor allem in den entlegenen Landesteilen ist die Lage offenbar katastrophal – „in einigen Dörfern erwarten wir völlige Zerstörung“, befürchtet Laximi Dhakal vom nepalesischen Innenministerium.

Das Epizentrum des gestrigen Bebens lag in der Region Tatopani, 74 Kilometer östlich von Kathmandu, in der Nähe vom Mount Everest, an der Grenze zu China. „Diese Region war bisher nicht der Schwerpunkt unserer Arbeit, da das Epizentrum des Bebens am 25. April im Westen lag“, betont Ecker. „Wir müssen jetzt ganz vom Neuem beginnen.“

Die Zeit für Soforthilfe in dieser entlegenen Gegend drängt: Denn es drohen „Erdrutsche in enorme Dimensionen“, befürchtet der Rot-Kreuz-Helfer. Ganze Dörfer könnten jetzt erneut vom Rest der Welt isoliert – oder aber auch dem Erdboden gleichgemacht werden. Bedrohlich seien für die Menschen in Nepal auch die heftigen Monsunregenfälle: „Wir müssen jetzt vor allem dafür sorgen, dass die Menschen eine trockene Nacht verbringen können“, sagt Ecker.

Und freilich müssten die Erbebenopfer auch medizinisch versorgt werden. Es fehle in Nepal derzeit an allem – an Wasser, Lebensmitteln, Hygienepaketen.

Millionen Nepalesen leben derzeit in Zelten und sind auf Nahrungsmittellieferungen angewiesen. Nach UNO-Angaben ist etwa ein Viertel der Bevölkerung des armen südasiatischen Landes von den Folgen des schweren Erdbebens betroffen. Finanzminister Ram Sharan Mahat sagte vergangene Woche, sein Land benötige mindestens zwei Milliarden Dollar, um Wohnhäuser, Krankenhäuser, öffentliche Gebäude und historische Stätten wieder aufbauen zu können.

Nepal drohte bereits nach dem Beben Ende April der politische und infrastrukturelle Kollaps: Das Stromnetz und die Wasserversorgung brachen für mehrere Tage zusammen – auch in der Hauptstadt Kathmandu. Wegen der Überlastung des Flughafens konnten Maschinen mit den notwendigen Hilfsgüter mehrere Tage nicht in Kathmandu landen, die Menschen waren gezwungen, ihre Angehörigen selbst aus den Trümmern zu bergen.

Wut auf unfähige Politiker

Die Wut auf die Politiker drohte auf der Straße zuletzt immer wieder zu explodieren, da der Regierung totale Unfähigkeit im Krisenmanagement vorgeworfen worden war. Minister hatten öffentlich eingestehen müssen, mit der Naturkatastrophe überfordert zu sein und die Lage nicht unter Kontrolle zu haben.

Das gestrige Erdbeben könnte die angespannte Stimmung im Himalaja-Land weiter anheizen. Vor dem Beben hat sich Nepal gerade erst vor einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg mit maoistischen Rebellen sowie dem Trauma eines blutigen Ende seiner jahrhundertealten Monarchie erholt – und erste, holprige Schritte in Richtung einer Demokratie gewagt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2015)

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