Der mächtigste Sportfunktionär der Welt wird heute trotz aller Widerstände als Fifa-Präsident wiedergewählt. Blatter, 79, verkauft Skandale als Erfolge, knüpft Seilschaften und vertraut der Sogkraft des Geldes.
Zürich. Ein guter Fußballer wird nicht automatisch ein guter Trainer, schon gar nicht ein gewiefter Funktionär. Ein schlechter Amateurspieler aus dem schweizerischen Visp aber kann Chef des Weltfußballverbandes Fifa werden; das lebt Sepp Blatter vor. Heute ist der Schweizer, 79, bekannt wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Er herrscht autoritär über 209 Verbände und damit mehr Nationen als die UNO. Er genießt das Spiel mit Macht, Politikern, Sponsoren und TV-Stationen wie kein Zweiter.
Sein Vater hatte ihm einst als Kind eingetrichtert, er würde mit Fußball kein Geld verdienen. Er sollte nicht ganz recht behalten – – der Fußball hat dank Blatter viel Geld verdient. Blatter wurde im Gegenzug dafür der mächtigste Spielmacher der Sportwelt.
Rücktritt, Korruption, Betrug, Untreue – dieser Tage wird der Schweizer einmal mehr mit Begriffen bombardiert, die ihn seit Beginn seiner Tätigkeit in der Fédération Internationale de Football Association begleiten. Blatter, der Wirtschaft in Lausanne studierte und 1975 über Stationen im Verkehrsverband und als Generalsekretär des Schweizer Eishockeyverbandes in die Fifa fand, lässt das unberührt. Es sind für ihn Bagatellen, kaum erwähnenswert, im Ausblenden von Konflikten ist er seit jeher unschlagbar. Er weiß die Mehrheit der Funktionäre hinter sich. Selbst Russlands Präsident Wladimir Putin macht nun für ihn Stimmung.
Kuverts, Stimmen und Diplomatie
Blatter ist der Mann, der das weiße Kuvert öffnet und den Veranstalter nennt. Nur er übergibt den WM-Pokal. Auch darum wird heute Nachmittag – ungeachtet aller Ermittlungen, Anklagen und Boykottdrohungen –, in Zürich die Wahl des Fifa-Präsidenten stattfinden. Seine Mehrheit mag wackeln, der Widerstand gegen Weltmeisterschaften in Russland (2018) oder im Winter 2022 in Katar noch so groß sein, genügend Stimmen bekommt er vermutlich trotzdem. Asien, Afrika, Ozeanien, Südamerika – diese Verbände halten kompromisslos zu ihm. Das ist Folge des Fifa-Prinzips „one country, one vote“. Die Stimme des fünffachen Weltmeisters Brasilien wiegt genauso schwer wie die Österreichs...
Blatter zeigt selten offen Reaktionen oder Emotionen. Er ist Walliser – außen hart und schroff, aber zielstrebig, für Angriffe gewappnet. Vergessen wird schnell, dass er als Entwickler Mitte der 1970er-Jahre die Kontakte zu den heute aktiven, finanzstarken Sponsoren knüpfte. Er verlieh der Fifa, die zu seinem Einstieg über sehr geringe Ressourcen verfügte, ihr aktuelles Erscheinungsbild mit zwei Milliarden Dollar Jahresumsatz. Ab 1981 als Generalsekretär, seit 1998 als Präsident, der nun seine fünfte Amtszeit anstrebt.
Dass sein „Lebenswerk“ durchzogen ist von Korruption, nimmt der Zögling des Brasilianers João Havelange nicht wahr. Er will nichts wissen, hören, gesehen hat er es ohnehin nie. Er kennt aber den Apparat seit 40 Jahren, und er mag alles sein, nur nicht naiv. Ein Spielmacher weiß aber, wann der rechte Augenblick zum Abschuss gekommen ist. Oder, wann andere Züge nötig sind. Unvergessen bleibt die von Ex-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen berichtete Anekdote über Blatters Machtergreifung 1998. 20 Kuverts mit je 50.000 Dollar Inhalt sollen an afrikanische Delegierte übergeben worden sein. Über Nacht hatte der Schwede Lennart Johannson die Wahl verloren. Blatter bezeichnete es als „vorab vereinbarte Zahlungen für Verbände in schwieriger Lage“.
Dreimal war der Schweizer verheiratet, er hat eine Tochter und stammt aus einfachen Verhältnissen. Er wähnt sich als „Hirte“, kennt Unterschiede zwischen Gut und Böse („Unsere Gesellschaft ist voller Teufel, und Teufel findest du auch im Fußball“) und negiert alle Rücktrittsforderungen. Sie sind ohnehin stets verflogen, ist er einmal gewählt. Egal ob aus Deutschland (WM 2006), Afrika (WM 2010) oder Südamerika (WM 2014 in Brasilien) – es gab keine Kritik mehr. Zufall? Zudem, wer mit Bobby Charlton, Pelé oder Franz Beckenbauer in die Kamera lächelt, hat keine Feinde in der Fußballwelt. Genügt das noch immer nicht, bringt er ein Novum ins Spiel. Dann gibt es die Torlinientechnik, ein neues Abseits, eine (halbherzige) Ethikkommission etc.
Blatter beherrscht fünf Sprachen fließend. Er antwortet wie ein Politiker, bei anhaltender Kritik aber wird er wild. Dann blockt er ab oder zieht sich zurück wie in Zürich. Er mied zuletzt die Öffentlichkeit, sagte Termine ab. Dann sucht selbst ein Machtmensch wie er Geborgenheit in seinem Umfeld. Erfahrung mit Konflikten hat er, vor jeder noch so schweren Wahl kennt er offenbar ihren Ausgang. 2002 drohte die Revolution, er gewann gegen Afrikas Verbandschef Afrikas Issa Hayatou. 2007 hatte Blatter keinen Gegenkandidaten, 2011 zog der Katarer Mohamed bin Hammam zurück. Der langjährige Blatter-Gefährte wurde plötzlich, drei Tage vor der Wahl, der Korruption überführt. Wiederholt sich nun dieses Spiel?
2015 wollte Sepp Blatter eigentlich gar nicht mehr zur Wahl des Fifa-Präsidenten antreten. Er überlegte es sich anders. Er habe noch „Energie und Ehrgeiz“, manch Beobachter nennt es Machtgier. Blatter sagt: „Ich erkenne gute, aber auch böse Menschen.“
ZUR PERSON
Joseph S. Blatter (*10. März 1936 in Visp, Schweiz) ist seit 1998 Präsident des Weltfußballverbandes Fifa.
Der ehemalige Amateurspieler wurde im Sommer 1975 auf Initiative von Horst Dassler (Adidas) Direktor für Entwicklungsprogramme bei der Fifa. Dadurch knüpfte er die ersten Kontakte zu Sponsoren – 40 Jahre später verbucht die Fifa einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Dollar.
Als mächtigster Sportfunktionär der Welt hat Blatter viele Gegner. Aus unzähligen Korruptionsskandalen, Bestechungsvorwürfen oder noch so fragwürdigen WM-Vergaben (etwa 2018, 2022) ging er stets unbelastet hervor.
Er stellt sich in Zürich der vierten Wiederwahl.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)