Kurz will London bei EU-Reform unterstützen

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Außenminister Sebastian Kurz sieht Handlungsbedarf bei Sozialleistungen für Zuwanderer und bei einer Ausweitung der Subsidiarität.

Wien. „Ein Rosinenpicken ist vollkommen ausgeschlossen. Es kann nicht ständig Sonderregelungen für einzelne Länder in der Europäischen Union geben.“ Außenminister Sebastian Kurz, der am Donnerstag mit seinem britischen Amtskollegen, Philip Hammond, in Wien zusammentrifft, sieht zwar keinen Spielraum für neue Rabatte oder vertragliche Ausnahmen zugunsten Großbritanniens, möchte aber einzelne Reformbestrebungen der Tory-Regierung in der EU unterstützen.

Derzeit reisen sowohl Premierminister David Cameron als auch Außenminister Hammond durch die EU-Hauptstädte, um für eine Europäische Union zu werben, die den Nationalstaaten mehr Spielräume lässt. Spätestens 2017 soll dann ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Union stattfinden.

Kurz erklärte im Gespräch mit der „Presse“, dass er bei einzelnen Themen die britischen Wünsche durchaus unterstütze. „In der EU muss es darum gehen, sich ständig zu verbessern und Probleme, die neu aufkommen, zu lösen. Auch wir in Österreich sehen Nachschärfungsbedarf etwa bei der Subsidiarität. Ich kann mir daher auch Vertragsänderungen vorstellen.“ In vielen Fragen brauche es keine europäischen Regeln. „Die EU soll in großen Fragen sogar stärker werden, etwa bei der gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik, beim digitalen Binnenmarkt oder bei einer stärkeren Energieunabhängigkeit. Gleichzeitig gibt es Bereiche wie Ölkännchen und Duschköpfe, bei denen wir uns einen Rahmen setzen müssen, in dem es künftig weniger Europa gibt.“

Ein weiteres Thema, das Kurz mit seinem britischen Amtskollegen besprechen möchte, sind die Bedingungen für eine Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU. „Die Niederlassungsfreiheit ist eine zentrale Säule der Europäischen Union und muss verteidigt werden“, so Kurz. Aber es gelte auch hier „bei Fehlentwicklungen gegenzusteuern“. Die Freiheit, überall eine Arbeit aufzunehmen, könne nicht bedeuten, sich das beste Sozialsystem auszusuchen.

Großbritannien fordert deutlich höhere Schranken für Zuwanderer aus anderen EU-Ländern, um das nationale Sozialsystem nutzen zu können, und kämpft gegen eine rechtliche Gleichstellung von Arbeitnehmern aus dem Inland und aus EU-Ländern. Einigen Partnern – allen voran osteuropäischen Regierungen – gehen diese Forderungen zu weit.

Mehr nationalen Spielraum

Kurz hält die heute möglichen nationalen Beschränkungen, die Österreich ausschöpft, nicht für ausreichend und signalisiert einen möglichen Kompromiss mit der britischen Regierung. In Österreich müssen sich Zuwanderer aus der EU registrieren und einen Arbeitsplatz oder ausreichend finanzielle Mittel vorweisen können, um hier leben zu dürfen. Außerdem ist für ihren Zugang zu einer Arbeitslosenversicherung eine Beschäftigung von mindestens 52 Wochen Voraussetzung. Kurz sieht wie auch die britische Regierung Notwendigkeiten, diesen nationalen Spielraum noch weiter zu vergrößern. „Ein Aufnehmen der Arbeit von nur einem Tag darf nicht ausreichen, um Sozialleistungen zu erhalten.“ In der Freizügigkeit braucht es eine Nachschärfung, so Kurz.

Sollte eine EU-Reform eine Anpassung des Lissabon-Vertrags notwendig machen, wäre das für Kurz im Gegensatz zu vielen anderen EU-Politikern kein Tabu. „Ich bin 28 Jahre alt und werde noch viele Jahrzehnte in der Europäischen Union leben. Da bin ich überzeugt, dass der Lissabon-Vertrag nicht der letzte sein wird.“ Es sei wichtig, dass die EU dynamisch und wettbewerbsfähig bleibe. „Wenn dafür ein neuer Vertrag notwendig ist, sollten wir uns dem auch stellen.“

Britischen Wünschen, über einen neuen Vertrag auch neue Vetomöglichkeiten zu erhalten, erteilt der Außenminister hingegen eine klare Absage. „Mit einer Ausweitung des Einstimmigkeitsprinzip muss man sehr vorsichtig sein. Was dem Einzelnen hilft, kann zu einer Lähmung der EU beitragen.“ Auch neue Opt-outs für London – also Möglichkeiten, sich an einzelnen Politikfeldern der EU nicht zu beteiligen – lehnt Kurz ab. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2015)

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