Annemarie Foidl: "Der Sommelier von heute muss offen sein"

Dipl.-Sommeliere Annemarie Foidl.
Dipl.-Sommeliere Annemarie Foidl.Angerer Alm
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Die Präsidentin des Sommelierverbands, Annemarie Foidl, über die junge Szene und den Rückgang von Bewertungspunkten.

Wie beurteilen Sie die jungen, österreichischen Sommeliers?

Annemarie Foidl: Wir haben das Glück, dass wir sehr zielstrebige, junge, gut ausgebildete Sommeliers haben, die wirklich einen guten Job machen wollen. Sie sind an der Materie interessiert, sie haben eine Liebe zum Gast, und sie wollen sich weiterbilden.

Was unterscheidet die junge Sommelierszene von der alteingesessenen?

Da muss ich erwähnen, dass wir vom Sommelierverband jetzt verstärkt eingreifen. Das hat es früher nicht so gegeben. Uns ist wichtig, dass Netzwerke entstehen, dass sich die Sommeliers kennen. Wir bieten Trainings an, wir nehmen auch die Sommeliers an der Hand und versuchen zu vermitteln, in welche Richtung sie sich weiterbilden sollen. Aber es gibt auch eine große Bereitschaft dafür, sonst würde es nichts nützen. Das sind Leute, die aufeinander zugehen und offen sind. Das ist ganz wichtig: Der Sommelier von heute muss offen sein, für die Produkte, für die Philosophien, für das, was der Produzent sich gedacht hat, und auch für das, was sein Arbeitgeber braucht und will. Der Sommelier von früher wollte sich eher selbst verwirklichen, der Sommelier von heute schafft beides.

Wie groß ist die österreichische Szene?

Wir haben ca. 2000 Mitglieder in den Verbänden, sehr viele davon mit Diplom. So klein ist die Szene nicht. Aber sie ist nicht so laut wie die Kochszene. Wobei wir daran arbeiten, dass man öfter auch nach dem Sommelier im Haus fragt. Wir sind eines der wenigen Länder der Welt, in der die Sommelerie in der Gastronomie quer durch alle Ebenen zu Hause ist. In anderen Nationen betrifft das fast nur die Topgastronomie. Wir sind stolz darauf, dass bei uns der Sommelier vom Wirtshaus bis zum Sternerestaurant zu Hause ist.

Haben sich die heutigen Sommeliers international mehr geöffnet? Früher lag der Fokus mehr auf heimischen Weinen.

Heimische Weine sind nach wie vor die Nummer eins in Österreich. Aber für einen Sommelier ist es sehr wichtig, dass er sich in der Welt des Weines orientiert. Ein Sommelier muss international ausgebildet sein, um national arbeiten zu können. Da sind unsere jungen Sommeliers sehr interessiert und engagiert. Nicht so wie in Frankreich, wo der Franzose nur Frankreich kennt.

Wie viel Macht hat ein Sommelier?

Es gibt einen schönen Spruch: „Der Sommelier ist die Vitrine.“ Das ist sehr viel Verantwortung, die man auch seriös tragen muss. Wenn ein anerkannter Sommelier etwas empfiehlt, wird das anders wahrgenommen. Wobei mir eines ganz wichtig ist: Ein Sommelier ist nicht nur für den Wein verantwortlich, sondern auch für Kaffee, Tee, Destillate, Alkoholfreies, Wasser, Zigarren und Käse. Vor Jahren haben wir begonnen, die alkoholfreie Speisenbegleitung zu forcieren, da hat sich jeder gewundert – und auf einmal ist das ein großes Thema geworden. Das zeigt also, was Sommeliers bewirken können.

Werden Bewertungen, etwa von Robert Parker, weniger wichtig?

Ja, sie werden immer mehr hinterfragt. Ich finde sie auch gefährlich. Es ist eine Orientierung, aber man soll sich nicht hundertprozentig darauf verlassen. Sonst tut man dem Winzer unrecht. Wie oft ist es passiert, dass Monumente bestehen und immer noch gut geschrieben werden, obwohl sie nicht mehr gut sind? Und andere kommen nicht nach oben, weil sie vielleicht nicht das Kapital ausgeben, um gute Bewertungen zu kriegen.

Steckbrief

Annemarie Foidl
hat 2008 die Präsidentschaft des Österreichischen Sommelierverbands von Siegfried Brudermann übernommen.
Die Diplomsommelière betreibt gemeinsam mit ihrer Tochter Katharina die Angerer Alm in St.Johann in Tirol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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