Ukraine: Rechte Kämpfer außer Kontrolle

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Angehörige des ultranationalistischen Rechten Sektors lieferten sich in Transkarpatien Feuergefechte mit der Polizei. Der Verband droht mit bewaffneter Eskalation.

Mukatschewo/Wien. Die Schützengräben in der Ostukraine sind von Mukatschewo mehr als 1100 Kilometer entfernt. Doch seit Samstag haben die Bürger das Gefühl, dass der Krieg das westukrainische Städtchen erreicht hat. Ukrainische Medien sprachen dramatisch von der Eröffnung „einer neuen Front“. Eine bewaffnete Konfrontation zwischen Angehörigen der ultranationalistischen Vereinigung Rechter Sektor (RS), dem Wachpersonal eines Abgeordneten und ukrainischen Sicherheitskräften stellt die Regierung in Kiew auf eine harte Probe. Bei der Schießerei starben mindestens zwei RS-Angehörige, ein Dutzend Menschen wurde teilweise schwer verletzt, darunter auch Zivilisten.

Mit Kalaschnikows und Minenwerfern ausgestattete RS-Kämpfer fuhren demnach vor einen Freizeitclub und umstellten ihn. Eigenen Angaben zufolge wollten sie mit den kriminellen Machenschaften des Besitzers, des Abgeordneten Mihail Lanjo, aufräumen. Mukatschewo ist eine Stadt in Transkarpatien an der Grenze zu Ungarn, Rumänien und der Slowakei; die Grenzregion ist für den Schmuggel von Waren, insbesondere Zigaretten, notorisch bekannt. Lanjo war bis zur Flucht von Expräsident Viktor Janukowitsch Parlamentarier dessen Partei der Regionen und gehört mittlerweile der Nachfolgepartei, Oppositionsblock, an – somit ein klarer politischer Widersacher des Rechten Sektors, wobei Ideologie bei der Schießerei keine zentrale Rolle gespielt haben dürfte. Insider vermuten hinter dem Angriff keine politische Aufräumaktion, sondern einen Streit zwischen kriminellen Gruppen um die Pfründe aus dem Zigarettenschmuggel.
Vor Ort versuchten am Montag Sicherheitsbeamte, die Bewaffneten zum Aufgeben zu bewegen. Diese hielten sich nach deren Eintreffen im Wald verschanzt. Die Armee schickte laut Angaben von OSZE-Beobachtern elf Mannschaftstransporter und zwei Lastwagen mit Soldaten nach Mukatschewo.

Die Signale aus dem Rechten Sektor sind widersprüchlich. Während RS-Parteichef und Parlamentsabgeordneter Dmitrij Jarosch vom Versuch der Stabilisierung der Lage sprach, errichteten Angehörige der Gruppe auf Kiewer Ausfallstraßen Straßensperren. Kämpfer sollen nach Transkarpatien unterwegs sein. RS-Aktivisten hielten Kundgebungen vor dem Präsidentenamt und den Innenbehörden in mehreren Städten ab. Sie forderten den Rücktritt von Innenminister Arsen Awakow.

„Militärisches Franchiseunternehmen“

Mustafa Nayem, früherer Journalist und nunmehriger Abgeordneter des Präsidentenblocks, der sich ein Bild vor Ort machte, nannte den Rechten Sektor ein „militärisch-politisches Franchiseunternehmen“: „Wenn du ein paar Dutzend Burschen hast, die Möglichkeit, Waffen zu kaufen, und dich selbst als Patriot bezeichnest, kannst du Teil dieses Netzwerks werden“, schrieb er auf Facebook. Der Vorfall zeigt, dass die bewaffneten Verbände der Partei zu einem Sicherheitsrisiko für die Regierung geworden sind. Der Rechte Sektor ist eine Sammlungsbewegung nationalistischer und rechtsextremer Gruppen, die während der Massenproteste gegen Expräsident Janukowitsch entstanden ist. Genossen seine Aktivisten zur Zeit des Maidan in der Öffentlichkeit Anerkennung für ihre Entschlossenheit, hat ihn die Teilnahme am Krieg im Donbass (samt massiver Aufrüstung) zum unberechenbaren Faktor werden lassen.

Der Rechte Sektor hat im Gegensatz zu anderen früheren Freiwilligenbataillonen die Eingliederung in Strukturen des Verteidigungs- oder Innenministeriums bisher verweigert. Im Krieg im Osten sind Teile des Rechten Sektors an heiklen Frontabschnitten – etwa im Dorf Pisky in unmittelbarer Nähe des von den prorussischen Milizen eingenommenen Flughafens Donezk – stationiert: An verlustreichen Orten wie diesen wurden die Kämpfer von der Armeeführung gern geduldet. Das bisherige Versäumnis, die Kämpfer unter Kontrolle zu bekommen, rächt sich nun. Eine blutige Eskalation könnte unabsehbare Folgen für die öffentliche Sicherheit haben – weiteres Wegsehen ebenso.

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