Ankara hat am Freitag mehrere Stützpunkte der Islamisten bombardiert. Weitere Angriffe sollen folgen. Eine Verhaftungswelle im Land betraf nicht nur den IS, sondern auch die PKK.
Wien/Ankara. Am Freitag in den frühen Morgenstunden hat die türkische Regierung der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) eine unmissverständliche Antwort auf die Provokationen der vergangenen Tage gegeben: Drei F-16-Jets nahmen in Syrien, nahe der türkischen Grenze, IS-Stützpunkte ins Visier. Die Ziele seien „zu hundert Prozent“ zerstört worden, ließ der türkische Ministerpräsident, Ahmet Davutoğlu, verkünden. Medienberichten zufolge wurden zwei Kommandozentralen sowie ein Versammlungsort getroffen.
Damit hat Ankara den IS erstmals militärisch angegriffen, dessen Herrschaftsgebiet Teile der türkischen Grenze streifen. Und: Weitere Angriffe werden folgen, wie Davutoğlu und Präsident Recep Tayyip Erdoğan unisono angekündigt haben. Jede noch so kleine Handlung auf der anderen Seite der Grenze werde aufmerksam beobachtet und, wenn nötig, mit aller Härte beantwortet werden, so Davutoğlu. Nach langem Herumlavieren und laxer Politik gegenüber IS-Mitgliedern und -Sympathisanten im eigenen Land hat Ankara nun Position bezogen.
Der Nato-Stützpunkt im südtürkischen Incirlik wird für Anti-IS-Operationen freigegeben, „unter bestimmten Bedingungen“, wie Erdoğan meinte. Lang hat sich die Regierung gegen die Öffnung gewehrt, weil sie parallele Aktionen gegen den syrischen Machthaber Bashar al-Assad forderte.
Parallelen zwischen PKK und IS
Die F-16-Angriffe kamen wenige Stunden nach einem Anschlag auf einen türkischen Grenzposten. Dabei wurde am Donnerstag der Soldat Mehmet Yalçın Nane getötet – die militärische Aktion trug denn auch den Namen Operation Yalçın. Nur einige Tage zuvor hat ein Selbstmordattentäter im südtürkischen Suruç 32 mehrheitlich junge Menschen mit in den Tod gerissen. Regierungsangaben zufolge war der Täter, ein 20-jähriger Student, IS-Mitglied. Dass Ankara nicht schon nach dem Terrorakt gegen die Islamisten vorgegangen war, sondern noch gewartet und erst nach dem Tod eines Soldaten reagiert hatte, rief viele Kritiker auf den Plan. Zeitgleich muss Ankara aber auch den Türken-Kurden-Konflikt in Schach halten, der nun voll entbrannt ist. Als Vergeltungsakt für Suruç hat die PKK mehrere Morde verübt.
Trotz der aggressiven Anti-IS-Töne – selbst von einem betonierten und streng bewachten Grenzzaun zu Syrien ist jetzt die Rede – bleibt die PKK weit oben auf der Liste der Regierung. Der Kampf gegen beide Organisationen könnte auch weiterhin miteinander verbunden werden. Davutoğlu attestierte dem IS und PKK Parallelen, und auch die landesweite Razzia, die am Freitag durchgeführt wurde, galt gleichermaßen PKK- und IS-Mitgliedern. Insgesamt wurden 297 Menschen festgenommen, darunter auch Halis B., der der Kopf des türkischen IS-Ablegers sein soll. In sozialen Medien wurde die Verhaftung als Farce verspottet, zumal B. leger und ohne Handschellen abgeführt wurde.
Sympathiepunkte sammeln
Die Ereignisse der vergangenen Tage haben auch den mühsam ausverhandelten türkisch-kurdischen Friedensprozess gefährdet. Auf politischer Ebene schieben sich die regierende AKP und HDP bzw. PKK gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Kurdische Verbände fürchten zudem, dass die Regierung die Schläge gegen den IS auch auf die kurdisch-autonome Region Rojava im Norden Syriens ausweiten könnte. In jedem Fall eskaliert die Situation zu einem Zeitpunkt, zu dem eigentlich eine Koalition besiegelt werden sollte. Bei den jüngsten Wahlen konnte die HDP ins Parlament einziehen, und die AKP verlor die absolute Mehrheit. Wenn die Koalitionsgespräche scheitern, stehen Neuwahlen auf dem Programm. Dabei könnte die AKP mit den Antiterroraktionen Sympathiepunkte sammeln.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Türkei von der syrischen Seite beschossen wird. Bisher wurde „nur“ zurückgeschossen. Dass die Regierung die Strategie ändert, ist sicher der nationalen Sicherheit geschuldet. Ob es der IS in der Türkei künftig schwerer haben wird, muss Ankara aber erst noch beweisen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)