Wahlrecht: Wie man Fraktionswechsel legitimiert

(c) Clemens Fabry
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Abgeordnete. Eine direktere Wahl könnte auch verhindern, dass Mandatare leichtfertig die Partei wechseln.

Wien. Şenol Akkılıç war Gemeinderat der Wiener Grünen. Ohne Aussicht, wieder ein Mandat zu bekommen, wechselte er zur SPÖ. So hat die SPÖ genug Mandatare, um eine Änderung des ihr genehmen mehrheitsfördernden Wahlrechts zu verhindern. Und Akkılıç bekommt auf der roten Liste einen Platz, der ihm nach der Wahl im Herbst wieder ein Mandat sichern dürfte. Dass Fraktionswechsel in Mode sind, zeigt sich aber auch im Bund, zumal vier Mandatare des Teams Stronach ihre neue Liebe zur ÖVP entdeckten.

Rechtlich sind diese Wechsel alle gedeckt, gibt es doch das freie Mandat. Moralisch stellen sich aber einige Fragen. Doch das Wahlrecht gibt wenig Möglichkeiten, einzelne Abgeordnete spüren zu lassen, was man von ihnen hält. Die Zuneigung der Partei ist für den Mandatar oft entscheidender als die Zuneigung der Wähler.

Die Listen werden von den Parteien gemacht, mit Vorzugsstimmen kann man sie zwar umwerfen. Doch das ist schwierig, denn es gibt eine relativ hohe Hürde, unter der Vorzugsstimmen keine Rolle spielen. Um sie zu überspringen, muss man schon einen bekannten Namen wie Alexander Van der Bellen haben. Er erreichte bei der Gemeinderatswahl 2010 knapp 12.000 Vorzugsstimmen und erhielt ein Mandat. Das nahm er aber (zunächst) gar nicht an. Das nächste moralische Problem, mag er doch für viele der Grund gewesen sein, Grün zu wählen. Die ÖVP wiederum wartet heuer mit einer internen Regelung auf, die niedrigere Hürden für Vorzugsstimmen vorschreibt. Das funktioniert aber nur, wenn sich alle Kandidaten intern daran halten.

Doch wozu überhaupt Hürden, warum keine Direktwahl? Denkbar wäre, dass jeder Wähler zwei Stimmen hat. Einmal wählt man einen lokalen Kandidaten aus seinem „Grätzel“. Wer, sei es nach einer Stichwahl, die Mehrheit hat, erhält das eine Mandat und zieht in den Gemeinderat ein. So hat man einen Direktbezug zu „seinem“ Abgeordneten. Wenn dieser das Mandat zurücklegt oder gar nicht annimmt, gibt es Nachwahlen im Wahlkreis.

Der Plan hätte nur den Nachteil, dass er Kleinparteien schwächt. Denn der Kandidat einer starken Partei wird sich auch im Wahlkreis leichter tun. Um das auszugleichen, sollte die andere Hälfte der Mandate über ein stadtweites Listenwahlrecht vergeben werden, nach dem prozentuellen Ergebnis. Aber mit der Besonderheit, dass man per Vorzugsstimme ohne Hürden alles umreihen kann. Wenn eine Partei etwa fünf Mandate macht, bekommen einfach die fünf Kandidaten der jeweiligen Partei mit den meisten Vorzugsstimmen das Mandat.

In diesem System wäre es nicht mehr so attraktiv, die Fraktion aus Eigennutz zu wechseln. Denn auch das würde das Mandat für die nächste Wahl nicht sichern. Wer aber direkt gewählt ist, kann sich umgekehrt so oder so auf den Auftrag der Wähler stützen. Und hätte diesen moralisch auch noch dann inne, wenn er die Fraktion wechselt.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2015)

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