Deutschland: Das größte Flüchtlingslager Europas

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Kein EU-Land nimmt so viele Asylwerber auf wie die Bundesrepublik. Nun will Berlin gegen Balkan-Flüchtlinge vorgehen.

Wien/Berlin. Für das malerische Passau in Bayern, das sich mit dem Attribut Drei-Flüsse-Stadt schmücken darf, hat die „Zeit“ unlängst einen neuen Beinamen erfunden: „Deutschlands Lampedusa“. Mehr als 500 Flüchtlinge sind es pro Tag, die hier aufgegriffen werden, und die Behörden kommen mit der Aufarbeitung kaum nach. Erst vergangene Woche wurde die Passauer Registrierungsstelle auf ein Gelände des Technischen Hilfswerks verlegt, Abhilfe scheint der Schritt allerdings nicht geschaffen zu haben. Betten gibt es für 30 Personen, der Rest harrt im Freien der Registrierung.

Deutschland nimmt in absoluten Zahlen die meisten Flüchtlinge im EU-Raum auf. SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) richtet Brüssel aus, dass in der EU mehr Ausgewogenheit herrschen müsse: „Deutschland, Österreich und Schweden nehmen die meisten Flüchtlinge auf.“ Zwischen Jänner und Juni diesen Jahres haben sich 180.000 Menschen in die Bundesrepublik gerettet. Die Behörden gehen davon aus, dass die Anzahl der Anträge bis Jahresende höher sein wird als im Rekordjahr 1992, als aufgrund der Jugoslawien-Kriege knapp 440.000 Flüchtlinge nach Deutschland kamen.

Zeltstädte ohne fließendes Wasser

Die Debatte über die Aufnahme von Flüchtlingen ist hitzig, zumal einige Länder mit der Unterbringung hadern. Bremen, Eisenhüttenstadt und Duisburg etwa mussten Zeltstädte errichten, Letztere verfügt noch nicht über fließendes Wasser. Nach Eisenhüttenstadt in Brandenburg hat Österreich noch verfügbare Zelte geschickt, das Kontingent gilt europaweit als knapp.

Besonders Dresden hat zeitweise die Berichterstattung über die Notunterkünfte dominiert: Rechtsextreme haben gegen die Aufnahme von Asylwerbern protestiert und dabei auch Mitarbeiter des Roten Kreuzes angegriffen. Die Flüchtlinge mussten mit Polizeikorso in das Lager gebracht werden. Knapp eintausend Betroffene leben nun im Dresdner Lager, das Medienberichten zufolge innerhalb weniger Stunden aufgebaut wurde und gravierende Mängel erkennen ließ. Die Landesregierung räumte „nicht optimale“ Zustände ein. In der überfüllten Erstaufnahmestelle in Gießen (Hessen) kam es zu Prügeleien zwischen den Flüchtlingen mit mehreren Verletzten.

Weitere deutsche Städte und Länder haben Kasernen, leere Hotels, Verwaltungsgebäude, Wohnwägen, Firmengelände und auch neu errichtete Gebäude zur Verfügung gestellt. In der Bundesrepublik sind für die Unterbringung die Länder zuständig, der Bund teilt die Asylwerber auf.

Die Regierung hat eine härtere Gangart bei den Verfahren angekündigt. Knapp die Hälfte der Flüchtlinge kommt aus sogenannten sicheren Staaten vom Balkan wie Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina. Die allermeisten Anträge werden abgelehnt, die Verfahren dauern etwa fünf Monate. Künftig soll die Bearbeitung schneller erfolgen und die Betroffenen nach der Abschiebung ein Wiedereinreiseverbot erhalten. Mit einer Kampagne vor Ort soll die Flucht nach Deutschland verhindert werden: Videoclips sollen vermitteln, dass sich wegen der Ablehnungsquote die Flucht nach Deutschland nicht lohnt.

Zudem wird in der schwarz-roten Koalition laut über die Ausweitung des Status „sicheres Herkunftsland“ auf Kosovo, Albanien und Montenegro nachgedacht. Kritiker weisen aber darauf hin, dass ein Drittel der Balkan-Flüchtlinge Roma sind, die in den Herkunftsländern Diskriminierungen ausgesetzt waren.

Auf Einen Blick

Deutschland. Die Bundesrepublik nimmt in absoluten Zahlen die meisten Asylwerber im EU-Raum auf. Zwischen Jänner und Juni dieses Jahres haben rund 180.000 Menschen Asyl beantragt. Etwas mehr als die Hälfte stammt aus Krisenregionen wie Syrien, Afghanistan und Eritrea, der Rest aus Ländern auf dem Balkan. Berlin stuft mehrere Balkanländer als „sichere Staaten“ ein, was den Antrag auf Asyl erschwert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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