Werner Pranz wollte nicht mehr zusehen, wie die Einkaufsstraßen in seinem Viertel immer mehr herunterkamen. Deshalb gründete er einen Verein zur Belebung des Viertels, der den Kampf für die Nahversorger aufgenommen hat.
Irgendwann hat sich Werner Pranz gedacht: „Da muss man etwas machen.“ Und Pranz, der einen Friseurladen an der Rechten Wienzeile in zweiter Generation betreibt, handelte. Das war 2010. In diesem Jahr gründete der Coiffeur mit Michel-Alexander Atietalla, der ein EDV-Geschäft im Grätzel betreibt, auf eigene Faust einen Einkaufsstraßenverein. Das Ziel: Das Gebiet um die Wienzeile und Kettenbrückengasse soll belebt werden. Die Menschen sollten nicht mehr in Scharen zu den Einkaufszentren am Stadtrand fahren, sondern im Grätzel einkaufen. Damit das Gebiet nicht wie so manche Gegenden in Wien von leeren Schaufenstern, heruntergekommenen Geschäften und einer sterbenden Einkaufsstraße dominiert wird.
„Für uns war es wichtig, die Nahversorgung zu stärken“, erzählt Pranz: „Die Leute sollen wissen, was in der direkten Umgebung passiert. Sie sollen wissen, wo es einen Schneider, einen Friseur etc. gibt – dass man hier alles erledigen kann, ohne sich aus dem Grätzel hinausbewegen zu müssen.“ Denn oft würden die Wiener in ein Einkaufszentrum am Stadtrand fahren, weil sie nicht wüssten, dass sie alle Einkäufe und Erledigungen in ihrer Nachbarschaft machen könnten. „Und wenn man mit dem Auto in ein Einkaufszentrum fährt, hat das ja Nachteile. Nicht nur für die Einkaufsstraßen und das gesamte Grätzel, sondern auch für die Kunden“, meint Pranz: „Man steht mit dem Auto im Stau. Die Fahrt dauert daher lang, und das Benzin kostet ja auch Geld.“ Auch das Argument, man hätte in einem Einkaufszentrum alles an einem Ort und in kurzer Reichweite, zählt für Pranz nicht: „Die meisten unterschätzen die Wege, die sie in einem riesigen Einkaufszentrum wie der SCS zurücklegen. Und viele wissen nicht, dass sie im Grätzel meist alles bekommen, was sie brauchen.“
Der Kampf Einkaufsstraßen gegen Einkaufszentren tobt seit langer Zeit. Und viele Einkaufsstraßen, die als Nahversorger der Bevölkerung dienen, haben einen schweren Stand. Große, populäre Einkaufsstraßen wie die Mariahilfer Straße können sich behaupten – weil sie eine sehr gute Infrastruktur (U-Bahn-Anschluss) und „Quotenbringer“ (z. B. große Elektro-Ketten) besitzen. Aber abseits der Großen haben es kleine Einkaufsstraßen und Nahversorger oft schwer.
In Zahlen wurde diese österreichweite Entwicklung vor wenigen Wochen von Ernst Gittenberger (KMU Forschung Austria) festgehalten. Seit 2004 mussten rund 7600 Einzelhändler zusperren – es gab hier einen Rückgang von 16 Prozent: „Die Zahl der Geschäfte wird weiter abnehmen.“
Die Situation in Wien
Was diese Entwicklung, heruntergebrochen auf Wien, bedeutet? Derzeit umfasst die Verkaufsfläche in Wien 2,4 Millionen Quadratmeter. Davon befinden sich 45 Prozent in Geschäftsstraßen, auf Einkaufs- und Fachmarktzentren entfallen 37 Prozent (die restlichen 18 Prozent werden Einzelstandorten von großen Firmen zugerechnet). Bei dem jährlichen Umsatz in der Höhe von zehn Milliarden Euro führen zwar die Einkaufsstraßen mit einem Anteil von 72 Prozent deutlich gegenüber den Einkaufszentren. Aber: Davon entfällt allein auf die Mariahilfer Straße eine Milliarde Euro – bei kleineren Einkaufsstraßen sieht es dagegen oft nicht so rosig aus. Zusätzlich werden große innerstädtische Einkaufszentren bei dieser Kammer-Statistik nicht als Einkaufszentren gezählt, weil sie nicht allein auf der grünen Wiese stehen.
»»Die Leute sollen wissen,
was in ihrer direkten Umgebung passiert.««
Fest steht: Einkaufszentren besitzen gegenüber Einkaufsstraßen gewisse Wettbewerbsvorteile. Ausreichend Parkplätze, größere Geschäftsflächen – Einkaufszentren können damit mehr Auswahl bieten und die darin vertretenen Ketten sind oft billiger als Einzelhändler. „Aber das kann man aufholen“, meint Pranz: „Mit gutem Service, mit Beratung und persönlichem Kontakt“, schlägt der Einkaufsstraßen-Manager vor.
Und: Die Geschäfte in einem Grätzel, einer Einkaufsstraße müssten zusammenhalten und gemeinsam agieren. Man müsse eine eigene, gemeinsame Identität finden und diese vermarkten. Beispielsweise als Modemeile, als Musikmeile etc. Im Bereich der Kettenbrückengasse, für die der Einkaufsstraßenverein von Pranz und Atietalla zuständig ist, entwickelt sich bereits etwas. Im oberen Teil der Kettenbrückengasse hätten sich schon einige junge Designer angesiedelt. Dazu haben Pranz und Atietalla Aktionen ins Leben gerufen, um die Attraktivität der Einkaufsstraßen in ihrem Bereich zu steigern: Late-Night-Shopping, Straßenfeste und zahlreiche Events, um Kunden anzulocken. Dazu eine gute Homepage, die zeigt, was es alles in dem Grätzel gibt, so Pranz, der auch eine eigene Zeitung herausgibt. „Life is Life“ ist eine Grätzelzeitung für die Einkaufsstraßen, die an 25.000 Haushalte verteilt wird und in der auch alle Geschäfte der Einkaufsstraßen verzeichnet sind. Sie soll den Bewohnern die Einkaufsmöglichkeiten in dem Viertel des fünften Bezirks in Erinnerung rufen. Wobei es selbstverständlich sei, dass es einen guten Branchenmix gebe.
Was ist die Grundvoraussetzung, dass eine Einkaufsstraße mit einem Konzept (also ausgewogenem Branchenmix bzw. Spezialisierung auf eine Branche) funktioniert? „Es darf keine leeren Geschäfte geben“, meint Atietalla: „Sie können das schönste Geschäft in einer Einkaufsstraße haben. Wenn das Geschäft daneben leer steht, geht fast nichts mehr.“ Deshalb haben Pranz und Attietalla von Beginn an versucht, Leerstände zu bekämpfen. Ihre Möglichkeiten sind natürlich beschränkt. Aber man versuche, breit zu kommunizieren, wenn Geschäftslokale frei sind, um neue Mieter zu finden welche die Attraktivität der Einkaufsstraße erhöhen.
»Im oberen Teil der Kettenbrückengasse haben sich nun Designer angesiedelt.«
Ein Problem dabei seien Bürokratie und neue Vorschriften, meint Atietalla. Wenn ein alteingesessenes Geschäft zusperrt, könnte ein Nachmieter es oft nicht übernehmen, weil es viel zu teuer sei. Immerhin müssten dann Vorschriften (z. B. zweites WC) umgesetzt werden, mit denen sich das neue Geschäft finanziell nicht rentiere: „Dann vermietet es der Eigentümer als Lager, und die Attraktivität der Einkaufsstraße sinkt.“ Hier müsse es seitens der Politik Erleichterung geben, fordern beide, die aber auch zugeben: Seitens der Stadt und Kammer gebe es auch Unterstützung und Förderungen für die Unternehmer und Einkaufsstraßenvereine.
Kampf gegen das Internet
Neben Einkaufszentren bedroht auch die Konkurrenz aus dem Internet die kleinen Geschäfte. Doch Pranz sieht das gelassen: „Es gibt Boutiquen, in denen ist es teurer als im Internet. Die machen aber trotzdem ein gutes Geschäft.“ Der Grund: „Die Beratung.“
Im Internet gebe es kein Service. Doch viele Produkte würden eine persönliche Beratung und Service erfordern. „Ich kaufe selten, aber auch ab und zu im Internet“, gibt Pranz zu: „Im Normalfall gehe ich wo hin, wo ich beraten werde. Wo ich ein TV-Gerät kaufe und der Händler bringt es nach Hause und installiert es gleich.“ Denn gerade in modernen Elektrogeräten sei so viel Computertechnologie verpackt, dass man oft sowieso einen Fachmann brauche.
Eine weitere Lösung, um Einkaufsstraßen zu beleben, sehen Pranz und Atietalla in der Kooperation – mit der Gastronomie: „Wo viel los ist, sind viele Lokale. Und dort sind auch die interessantesten Einkaufsstraßen, weil die Lokale viele Menschen in die Einkaufsstraße bringen.“ Nachsatz: „Die Schleifmühlgasse (sie liegt wie die Kettenbrückengasse im fünften Bezirk, Anm.) ist ein gutes Beispiel. Sie ist zu 80 Prozent eine Gastronomiestraße. Damit habe ich dort viele Möglichkeiten.“
Die Größten
- Platz 1. Mariahilfer Straße (214.200 Quadratmeter)
- Platz 2. Landstraßer Hauptstr. (74.300 Quadratmeter)
- Platz 3. City (Kohlmarkt, Graben, Kärntner Str., Steffl, Goldenes Quartier 73.300 Quadratmeter)
- Platz 4. Favoritenstr. (69.200 Quadratmeter)
- Platz 5. Meidlinger Hauptstr. (37.500 Quadratmeter)
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)