Wasserbäume mit Möbel-Yoga

Der Clusius-Naturlehrpfad rund um den Urbersdorfer Stausee im Naturpark Weinidylle
Der Clusius-Naturlehrpfad rund um den Urbersdorfer Stausee im Naturpark Weinidylle(c) Klaudia Blasl
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Südburgenland II. Die Wege durch das hügelige Gelände führen meist in stille Botanik, manchmal in den Morast und auch an die Grenze. Verbindend ist die entspannte Grundstimmung.

„Zum Koi wollt's?“ Der beleibte Bauer aus Oberdorf stützt sich schwitzend auf die Sense. „Da fahrt's beim Wartehäuschen rechts den Edelberg runter und dort, wo das „5 t“-Schild steht, müsst's abbiegen. Ganz einfach.“ Vom Güterweg, der schier endlos durch schweigsame Wälder und zirpende Blumenwiesen führt, sagt er nichts. Von der Menschenleere auch nicht. Allein ein paar Störche staksen unaufgeregt durch das hohe Gras. Aber so ist es eben im Südburgenland. Hier ist der Weg das Ziel. Und beides könnte lohnender nicht sein. Abseits von Thermen, Weidegänsen und Touristenrouten laufen im Südburgenland Naturschauspiele im Breitwandformat ab.

Koi's Kulinarik lohnt die Mühen der Anfahrt mit feinstem Fisch aus den eigenen drei Teichen mitten im Wald – die üppig besetzte Fischsuppe oder die knusprigen Fisch and Chips wäre jeden Fußmarsch wert. Würde hier nicht bester Uhudler mit Sonnenschein kredenzt, man könnte sich glatt wie in Finnland fühlen. Aber wer tiefer eintaucht in die Landschaften zwischen Pinka, Lafnitz und Zickenbach, stellt ohnedies schnell fest, dass die Gegend hier mit attraktiven Wassern (und Weinen) gewaschen ist.

Ochsenschlepp

In manchem Bächlein helle mögen die launischen Forellen ja immer noch in froher Eil' vorüberschießen, aber diese fließen bestimmt nicht durch das Südburgenland, wo selbst die Fische nur mit Weile eilen. Meist breitet sich über den Gewässern vor allem meditative Stille aus. Der Clusius-Naturlehrpfad nahe Urbersdorf etwa, mittlerweile Teil des Naturparks in der „Weinidylle“, erinnert mit jedem Blatt an einen urwüchsigen Garten Eden. Riesige Steineichen umrahmen einen tiefblauen See, dessen Ufer von gelben Taglilien und Pfeifengraswiesen gesäumt wird. Federlibellen und Ameisenbläulinge schwirren herum, während mächtige Schwarzerlen, oft umschlungen von wildem Hopfen, stammtief im Wasser stehen und von fetten Karpfen und lautstarken Kröten hofiert werden. Weit und breit kein Mensch zu sehen, doch würde es wenig verwundern, träte unvermittelt ein Hobbit aus dem pittoresken Dickicht.

Auch die Moorwälder des Naturschutzgebietes Auwiesen-Zickenbachtal verzaubern mit einer ähnlichen Opulenz. Nur würde hier kein kleinwüchsiger Hobbit, sondern eher ein ausgewachsener Moorochse zwischen den Kugelweiden hervortreten. Diese Kreuzung aus Galloway und Aberdeen-Angus-Rindern ist beruhigenderweise nicht nur ausnehmend schmackhaft auf dem Teller, sondern auch ausnehmend pazifistisch in freier Wildbahn. Aber man fährt ohnedies nicht hierher in das Naturschutzgebiet, um Ochsen zu streicheln, sondern eher, um sich in dieser 12.000 Jahre alten Schlammoase nasse Füße zu holen. Dieses mit 42 Hektar größte Niedermoor Österreichs enthält zudem große Mengen an Heilschlamm, was angeblich gegen Gelenksentzündungen ebenso hilft wie bei akuten Anfällen von sonntäglicher Abenteuerlust.

Morastige Wege, auf denen man stellenweise knöcheltief im Schlamm versinken kann, halten vor allem Birdwatcher auf Trab. Im Schilf und auf den Großseggenrieden tschilpen Schilfrohrsänger, Rohrschwirlen und Mönchsgrasmücken perfekt orchestriert vor sich hin, während einem beim Anblick der lautlos wiederkäuenden Ochsen nun auch der Gaumen aufgeht.

Grenzgang

Artenvielfalt prägt das Südburgenland vielerorts. Was im Übrigen auch auf die neue Paradiesradroute entlang der Lafnitz, dem steirisch-burgenländischen Grenzfluss, zutrifft. Auf 260 Kilometern Länge (mit dem Fahrrad machbar in sechs gemütlichen Etappen) quert die Rundtour im Süden das wohl schönste Kellergassendorf Österreichs, Heiligenbrunn. Und führt dann weiter nach Norden entlang der Pinka retour nach Neustift an der Lafnitz. Dabei kommt sie durch Bildein, wo der Pinkataler Grenzerfahrungsweg angelegt ist. Auf diesem pflastern durchaus schmerzhafte Erinnerungsstücke an Nazi-Zeit und Kalten Krieg wie Bunker, Schützengräben, schwimmende Brücken und ein Beobachtungsturm den Weg entlang der ungarischen Grenze.

Andreas Lehner, Schöpfer dieses emotionalen Pfads und Gestalter des sehenswerten Geschichte(n)hauses in Bildein, im „Dorf ohne Grenzen“ – das einst eine perspektivenlose Gemeinde hart an der Grenze war – weist nachdrücklich auf die Aktualität hin: „Bei der Entwicklung war mir noch nicht so klar wie heute, dass an den aktuellen EU-Außengrenzen wesentlich mehr Menschen sterben als einst am Eisernen Vorhang.“ Wer die auf fünf Kilometer Länge verteilten Stationen ehemaligen Grauens und zeitgeistig bedrohlicher Szenarien bis an das Ende schreitet, erhält bewusst nicht nur Ausblicke auf die Flusslandschaft, sondern vor allem Einblicke in das willkürliche Wesen von Grenzziehungen und deren katastrophaler Konsequenzen. Noch steht das „Achtung Staatsgrenze“-Schild bedeutungslos in der Landschaft herum, doch schon morgen könnte alles wieder ganz anders sein.

Möbel-Yoga

Idyll am Litzelsdorfer Hügelkamm: Im Postkasten nisten die Meisen, in der Werkstatt schnurren die Katzen, und im Innenhof formen Sakristeitüren, dreifaltige Trumeautische, Feigensträucher und Konzertflügel ein beschauliches Gesamtkunstwerk. Franz Potzmann, Kunsttischler und Herr über einen alten Bauernhof mit Streuobstwiesen und hölzernen Kunstwerken, betrachtet das Treiben (als echter Südburgenländer) gelassen und gut gelaunt. „Bei uns gibt es nichts Spektakuläres“, meint er, „dafür können die Menschen hier aus kleinen Dingen großartige Werke schaffen.“ Was auf Kulinarik und Weinbau ebenso zutrifft wie auf die aus dem Leim gegangenen Antiquitäten, denen Potzmann zu neuem Glanz verhilft. Mit Schraubenzieher, Schellackpolitur und auf Wunsch mit zwei hilfreichen Händen. Denn wer will, kann unter seiner Anleitung selbst Hand an sein ramponiertes Möbelstück legen.

Ich etwa versuche mich an der Wiedergeburt eines verwahrlosten Thonet-Bugholzstuhls. Der hässliche weiße Lack muss ab, was am besten mit der Ziehklinge geht. Während ich, anfänglich noch angestrengt, vor mich hin schabe und Kater Willi ständig um die Beine schleicht, serviert der Tischler Kaffee und gute Ratschläge. Die Abfolge von groben, feinen und öligen Schleifsteinen gelingt zwar nicht ganz wie erhofft, und die Schrauben verlieren sich beinahe unter Rosen und Liegestühlen, aber am zweiten Tag stellen sich erste wie sichtbare Erfolge ein. Schicht um Schicht wird die Seele des Holzes freigelegt, während die Atmosphäre ringsum immer friedvoller und entspannter wird, was nicht nur an der Aussicht liegt. Restaurieren hat etwas Meditatives. Fast eine Art Möbel-Yoga. Dass man am Ende zudem ein attraktiv aufgemöbeltes Stück in den ermüdeten Händen hält, liegt wohl am südburgenländischen Zeitenparadoxon: Entschleunigung, die einen gleichzeitig weiterbringt. Näher an sein Ziel. Und sei es auf verschlungenen Pfaden zur Kulinarik am Teich.

SÜDBURGENLAND INFO

Essen und Trinken: Koi – Kulinarik am Teich (auch für Sportfischer) in Oberdorf. Amur, Zander, Moorochsengerichte. www.koi-kulinarik.at

Konditorei Lendl's Backstube in Bildein: Köstliche Kekse im Kuhstall. Auf Wunsch Backkurse und (veganes) Hochzeitsgebäck. Uhudlerkekse, Lebkuchen und den Bildeiner probieren. www.lendls.at

Die Wirten in Bildein: direkt neben Weinarchiv, Geschichte(n)haus und Grenzerfahrungsweg; neben dem Wein lohnt auch der Pinkataler einen guten Schluck. www.diewirten.at

An-alapanka-ma in Eltendorf-Zahling: vegetarisch/vegane Haubenküche. Mit astrosophischen Gartenwelten und Sterne-Cocktail. www.an-alapanka-ma

Diverse bäuerliche Produzenten, Winzer und Gastronomen vermarkten sich auch unter dem Titel „Ein Stück vom Paradies“. Man kann den Adressen im Guide wie einem Reiseführer folgen. www.ein-stueck-vom-paradies.at

Uhudlerfeste steigen im September: am Hochkogel in Eltendorf am 4.–6.9. und im Kellerviertel Heiligenbrunn am 26.9.

Schlafen: Hotel Burg Bernstein Entweder Gottgetröst schlafen oder auf den Spuren der „weißen Frau“ (Catharina Frescobaldi) nachtwandeln.urlaub@burgbernstein.at, T 03354/6382

Weinek's Weinlodge & Kellerstöckl in Hangensdorf: mit Buschenschank, Kunstsinn und Uhudlermarmelade. Schauspieler und Regisseur Martin Weinek und sein Bruder Andreas verfasst auch die „Gebrauchsanweisung für das Burgenland“ (Reihe bei Piper), www.weinek-wein.at

Hacienda del Piero in Heiligenkreuz im Lafnitztal: Ruhen im Pueblo und Reiten an der Lafnitz, T 0650/7331217

Möbel restaurieren für Anfänger und Profis: Kunsttischlerei Potzmann: Litzelsdorf. Kurstermine: Mo. 31. 8. bis Fr. 4. 9. , Mo. 21. 9. bis Fr. 25. 9.,T 03358/2991, www.potzmann.at

Erholen, entspannen: Teile des Südburgenlands liegen auf einer Thermenlinie, wie auch Bad Tatzmannsdorf. Die Gemeinde verfügt über eine große, traditionsreiche wie moderne Kur-, Gesundheits- und Wellness-Infrastruktur.

Radfahren: Paradiesroute führt 260 km im Rundkurs durch das Südburgenland, durch Naturparke, Weinlandschaften zu kleinen Museen, Schlössern und Skulpturen. 2500 Höhenmeter, sechs empfohlene Etappen (30 bis 60 km) ab Neustift/Lafnitz. Die Strecke wird gern mit dem E-Bike befahren, es gibt 23 E-Bike-Verleihstellen. Tourenprofil: www.suedburgenland.info

Umfeld: Naturpark Weinidylle im unteren Pinka- und Stremtal: mosaikartig angeordnete Weinberge, Wiesen und Wälder. Auwälder und Feuchtwiesen mit vielfältiger Flora und Fauna. Besonders selten: Die Schachblume (Fritillaria Meleagris) wächst in Hagendorf und Luising. Dort liegt auch Heiligenbrunn mit seinem schönen alten Kellerviertel (106 denkmalgeschützte Weinkeller mit Strohdach). Weinmuseum in Moschendorf. www.sudburgenland.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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