Die türkische Armee belagert die kurdische Stadt Cizre nahe der syrischen und irakischen Grenze und tötete zahlreiche Menschen.
Istanbul. Im Osten der Türkei spitzt sich die Lage weiter zu. Bei Kämpfen in der Stadt Cizre nahe der syrischen und irakischen Grenze sind in den vergangenen Tagen viele Menschen getötet worden. In der mehrheitlich kurdischen Stadt gilt seit vergangenem Freitag eine Ausgangssperre – seither kam es dort immer wieder zu Kämpfen.
Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) hat deshalb am Donnerstag ihre Anhänger zu Protestaktionen aufgerufen. In dem PKK-Aufruf ist von einem Massaker die Rede. Kurden in der Türkei, in Europa und überall in der Welt sollten sofort an ihren jeweiligen Wohnorten auf die Barrikaden gehen.
Nach Angaben des türkischen Innenministers, Selami Altınok, vom Donnerstag wurden seit Freitag in Cizre 30 bis 32 kurdische Aufständische und ein Zivilist getötet. Die prokurdische, linke Oppositionspartei HDP erklärte hingegen, in der Stadt seien in dieser Zeit 21 Zivilisten getötet worden.
Anhänger der HDP, darunter Abgeordnete und Regierungsmitglieder, versuchen nach wie vor, nach Cizre zu gelangen. Sie haben sich am Mittwoch in einem Protestzug auf den Weg gemacht, wurden aber von Soldaten aufgehalten. Die Abgeordneten, unter ihnen HDP-Chef Selhattin Demirtaş, EU-Minister Ali Haydar Konca und Entwicklungsminister Müslüm Doğan, ließen sich auf einem Hügel in der Nähe der Grenze nieder. Sie wollten so ihren Protest gegen das Vorgehen gegen die Kurden ausdrücken.
Die HDP gehört derzeit einer breiten Übergangskoalition an, die die Türkei bis zur Neuwahl am 1.November regiert. Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, hofft, bei der Wahl wieder die absolute Mehrheit für seine Partei AKP zurückzugewinnen. Um das zu erreichen, versucht er aber offenbar, die HDP kaltzustellen. Denn der Einzug der linken prokurdischen Partei ins Parlament nach der Wahl im Juni hat die AKP zunächst diese Mehrheit gekostet.
Erdoğan warf der HDP nun Terrorismus vor. Dermitaş hatte Erdoğan und Premier Ahmet Davutoğlu zuvor beschuldigt, eine „Entscheidung für den Bürgerkrieg“ gefällt zu haben. Auch die türkische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Demirtaş eingeleitet. (güs/APA/Reuters)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)