Helmut Berger: (Selbst-)Entblößung eines Ausgebrannten

(c) Andreas Horvath
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Andreas Horvaths Porträt "Helmut Berger, Actor" ist heuer der einzige österreichische Beitrag in Venedig. Er zeigt den einstigen Star in desolaten Umständen und in Erinnerungen schwelgend. Bergers Manager ist empört.

So lasziv, wie es sein Alter erlaubt, wirft Helmut Berger den Kopf in den Nacken und schließt die Augen. Mit erotischer Verzückung im Gesicht gleitet seine Hand in den Schritt seiner Pyjamahose. Dann bricht er plötzlich ab, blickt lächelnd in die Kamera und proklamiert: „I'm an actor!“ Diese Ansage in der offensiven Eröffnungssequenz von Andreas Horvaths Porträtfilm über den einstmals „schönsten Mann der Welt“, der am Mittwoch als einziger österreichischer Beitrag in Venedig Premiere gehabt hat, ist programmatisch zu verstehen. Der Titel („Helmut Berger, Actor“) unterstreicht den Gedanken: Schauspiel ist für Berger kein Beruf, sondern ein Daseinsprinzip.

Nicht gespielt sind Bergers desolate Lebensumstände. Seine Salzburger Wohnung erscheint als heruntergekommene Gemeindebau-Gedächtnisgruft. Umzingelt von Reliquien und Devotionalien seiner Jetset-Vergangenheit als Weltstar, androgynes Sexsymbol und Visconti-Muse, zwischen Kerzen, Mahnungen und Medikamentenschachteln lässt der 71-Jährige ungeschliffene Gedankenperlen kullern und schwelgt in Erinnerungen an Ibiza und Saint-Tropez. „Ich bin eine schwierige Person, weil ich nur mit schwierigen Personen zu tun hatte“, sagt er.

Getrieben von Gewalt und Leidenschaft

Schwierig heißt in erster Linie: launisch, jähzornig, getrieben von „Gewalt und Leidenschaft“ (wie Berger es an einer Stelle in Anspielung auf seinen letzten Visconti-Film ausdrückt). Das Oszillieren zwischen Anziehung und Abstoßung, Narzissmus und Paranoia äußert sich am deutlichsten in trunkenen Telefontiraden, die Horvath periodisch in den Film montiert. Je nach Stimmungslage versucht Berger mit dreisprachig schlenkernder Knarzstimme, seinen Porträtisten für Buchprojekte und Restaurantgründungen einzuspannen – oder ihm die Zusammenarbeit endgültig aufzukündigen, immer und immer wieder: „Ich bin heute aufgewacht, habe eine Gemüsesuppe gegessen und gemerkt, du bist ein Hypocrite!“

Doch die Zusammenarbeit bietet Berger Bühne und Publikum. Was könnte für einen Schauspieler wertvoller sein? Im Mittelpunkt von Horvaths Film steht daher weniger das patscherte Leben der Titelfigur als die prekäre Beziehung zwischen dem bildlich kaum präsenten Filmemacher und seinem menschlichen „Objekt“, das Tauziehen um die Oberhand in einem Abhängigkeitsverhältnis. Eine Schlüsselszene, in der dem Regisseur der Kragen platzt, eskaliert wie ein Ehekrach. Mit Fragen nach Wahrhaftigkeit und Urheberschaft wird man hier nicht weit kommen.

Das alles erinnert stark an ein anderes österreichisches Porträt eines großen Exzentrikers: „Kern“ von Severin Fiala und Veronika Franz. Mit dem kürzlich verstorbenen Regisseur Peter Kern hat Berger charakterlich viel gemeinsam (2009 und 2011 spielte er in Filmen von ihm mit). Auch die Eingliederung der Konflikte während der Produktion in die filmische Erzählung verbindet die beiden Arbeiten. Allerdings hat man bei Horvaths Film das Gefühl, dass der Regisseur keinen wirklichen Bezug zu dem hat, was Berger als Impulsmensch und Kunstfigur repräsentiert, was ihn besonders macht. Er tut sich sichtlich schwer damit, mit Transgressionen und Provokationen umzugehen (etwa, wenn Berger ihm bei einer gemeinsamen Frankreich-Reise im Hotelzimmer unvermittelt seine Liebe gesteht). Stattdessen wird eine Form übergestülpt: Elegische Montagesequenzen – untermalt von Horvaths orchestralen, schrill-unheimlichen Eigenkompositionen – inszenieren Berger als Helden einer großen Verfallstragödie.

Manchmal verschwindet der Schauspieler in Überblendungen, als wäre er bereits ein Gespenst wie die toten Kinolegenden an den Wänden seiner Wohnung. Eine wirkliche Annäherung findet nicht statt, der Kamerablick bleibt distanziert bis vage herablassend. Am Ende entsteht trotz aller Brechungen und Selbstreflexionen der unangenehme Eindruck, der (Selbst-)Entblößung eines ausgebrannten alten Mannes beigewohnt zu haben. Bergers Auftritte im Dschungelcamp waren würdevoller. Vielleicht ist das (abseits der zum Teil expliziten Masturbationsszenen) der Grund, warum sämtliche Vorstellungen am Lido in der unscheinbaren Sala Casinò liefen.

Bergers Manager, Helmut Werner, jedenfalls reagierte empört auf den Film: „Das ist menschenverachtend und absolut widerlich“, sagte er der APA: „Hier wurde die Institution und der Schauspieler Helmut Berger nachhaltig zerstört, er ist nicht mehr vermittelbar.“

Wenn Theater echt wird

Auf ganz andere Weise wird das Verhältnis zwischen (realer) Illusion und (inszenierter) Wirklichkeit im griechischen Spielfilm „Interruption“ verhandelt. In Anlehnung an die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater, bei der die Terroraktion kurzzeitig für einen Teil des Stücks gehalten wurde, entwirft das abstrakte Drama eine verstörende Versuchsanordnung: Während der Aufführung einer verkünstelten Produktion der Orestie betreten ungebetene Gäste die Bühne und übernehmen das Ruder. Auch als der erste echte Schuss und in Folge ein lebloser Körper auf den Bretterboden fällt, herrscht im Publikum Unsicherheit über den Realitätsstatus des Geschehens. Die didaktische Schlagseite des Films nervt zuweilen, doch er überzeugt als anregendes Gedankenexperiment und als willkommene Unterbrechung des bislang eher schalen Festivalprogramms.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)

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