Großbritannien und seine Sikhs: Die Herrscher des Empires liebten sie, doch Rassisten der Gegenwart jagen sie.
london. Wie das (schlechte) Gewissen für längst Verdrängtes erinnern Einwanderer aus dem ehemaligen Kolonialreich Briten an Taten und Untaten ihres Empires. Bei der Expansion in Indien stießen sie im heutigen Pandschab auf Widerstand der Sikhs, die erst 1849 besiegt werden konnten. Danach begannen die Briten, sich der Talente der Sikhs zu bedienen.
Der letzte Herrscher der Sikhs, Maharadscha Duleep Singh, wurde nach London ins Exil gebracht, wo er bald zu einem Liebling des Hofs wurde. Britische Kolonialverwalter und Handelshäuser fanden unter Sikhs ihre besten Beamten, Händler und Soldaten. Die Emigration der Sikhs nach Großbritannien ging Hand in Hand mit dem Zerfall der Herrschaft über den Subkontinent. Je schwächer die Kolonialherren wurden, desto weniger konnten sie Sikhs in dem immer heißer werdenden Konflikt zwischen Hindus und Moslems beschützen. So erreichte die Flucht der Sikhs nach Großbritannien nach der Unabhängigkeit und Teilung Indiens 1947 ihren Höhepunkt. Wie die Briten ihre einst treuesten Helfer ihrem Schicksal überlassen haben, ist alles andere als ein Ruhmesblatt in ihrer Geschichte.
Wende nach Anschlägen 2001
Wie sie Sikhs in Großbritannien aufnehmen, ebenso wenig. Erst nach den „Southall Riots“ 1979, als bei Antirassismusprotesten ein unschuldiger Lehrer aus Neuseeland von der Polizei getötet wurde, setzte eine Trendwende ein. Minderheiten wie die Sikhs konnten formulieren, wie man sie schikanierte, einschüchterte. Seit den frühen 1980er-Jahren finden sie Gehör, besonders in Literatur und Film. Heute leben 500.000 Sikhs in Großbritannien, ihr 2003 eröffneter Tempel in Southall ist der größte außerhalb Indiens. Seit den Anschlägen in den USA von 2001 und der wachsenden Destabilisierung in der Region Kaschmir fühlen sich auch britische Sikhs wieder mehr in Gefahr. Auf Messageboards im Internet finden sich ungezählte Klagen. Eingeschüchtert fühlen sie sich von jenen, gegen die sie 1979 demonstriert haben – die weißen britischen Rassisten. Und mag der britische Staat in den letzten 30 Jahren auch viele Fortschritte gemacht haben, angesichts der gegenwärtigen Selbstzerstörung der politischen Elite des Landes in einem beispiellosen Spesenskandal und wachsender sozialer Spannungen angesichts der Wirtschaftskrise stehen genau diese Rassisten am 4. Juni bei den Europa- und Kommunalwahlen vor dem Durchbruch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2009)