In den USA laufe die Wirtschaft bereits stark genug, um die Zinswende einzuleiten, so die OECD. Für den Rest der Welt bringt der Konjunkturausblick hingegen schlechte Nachrichten.
Wien. Heute, Donnerstag, wird die Chefin der US-Notenbank Fed, Janet Yellen, bekannt geben, ob nach fast einem Jahrzehnt die Zinswende eingeleitet wird. Bis zuletzt war für die Finanzmärkte dabei nicht klar, wohin die Reise gehen wird: Werden die Zinsen, wie vor dem Sommer erwartet, bereits im September angehoben, oder wird der erste Zinsschritt doch erneut auf Dezember verschoben?
Geht es nach der OECD, sollte die Fed bereits heute die Zinsschraube wieder etwas fester anziehen. „Mit einer Zinserhöhung würde die Unsicherheit auf den Märkten beseitigt werden“, sagte die Chefökonomin der Industrieländer-Vereinigung, Catherine Mann, am Mittwoch anlässlich der Präsentation der aktuellen Weltkonjunkturprognose der OECD. Allerdings sollte der Zinsschritt dabei behutsam sein. Dies sei laut den Simulationen der OECD nämlich wesentlich entscheidender als der konkrete Zeitpunkt.
Europa ist „enttäuschend“
Grundsätzlich sei die US-Wirtschaft inzwischen robust genug, damit die Fed Geld wieder etwas teurer machen könne, so die Ökonomen in ihrer Prognose weiter. Anders sieht das Bild für andere Weltregionen aus – etwa Europa. Hier liegen nicht nur die Wachstumserwartungen um fast einen Prozentpunkt unter jenen der Vereinigten Staaten (siehe Grafik). Angesichts der positiven Einflussfaktoren, die sich in den vergangenen Monaten ergeben hätten, sei die konjunkturelle Erholung schlicht „enttäuschend“.
So hat die OECD berechnet, wie stark die europäische Wirtschaft durch den schwachen Ölpreis, die Abwertung des Euros gegenüber dem Dollar und anderen Weltwährungen sowie dem Stand der langfristigen Zinsen auf einem Rekordtief eigentlich stärker als der „normale“ Wachstumspfad wachsen müsste. Das Ergebnis ist ein zusätzliches Plus von 1,7 Prozent. In der Realität kommt mit 0,7 Prozent weniger als die Hälfte an, so die OECD, weshalb das gesamte Wachstum der Eurozone für heuer lediglich 1,6 Prozent betragen werde.
Grund für dieses Unvermögen, das Potenzial voll auszuschöpfen, ist laut Mann, dass Europa zu stark unter der Verschuldung leidet. Die Staaten sollten daher das europäische Bankensystem „reparieren“, indem sie Lösungen für die faulen Kredite in den Bankbilanzen finden, die etwa die Kreditvergabe behindern. Dies sei wichtiger und sinnvoller als eine Expansion des Anleihenkaufprogramms, wie es von manchen Ökonomen gefordert wurde und nun kommen dürfte (siehe Artikel unten).
Ablesbar sei dieses „Hinterherhinken“ etwa an den Zahlen der Investitionen in Europa. Diese legten in der jüngsten Vergangenheit zwar leicht zu. Grundsätzlich gibt es seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008/09 jedoch eine Stagnation bei rund 85 Prozent des Vorkrisenniveaus. Anders die Situation in den USA. Auch dort fielen die Investitionen im Jahr 2009 auf weniger als 85 Prozent. Seither hat sich dieser Wert jedoch kontinuierlich erhöht und liegt seit dem Vorjahr sogar wieder über dem Vorkrisenniveau.
China bleibt Fragezeichen
Ein großes Fragezeichen bleibt laut OECD weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung in China. Sowohl für 2015 als auch 2016 reduzierten die Ökonomen aufgrund der jüngsten Probleme ihre Prognose. Dennoch sind die erwarteten Raten mit 6,7 und 6,5 Prozent immer noch relativ stark. Kommt es jedoch in China zu einer noch stärkeren Abkühlung, wären die Auswirkungen auf die ganze Welt drastisch, so die OECD. So berechneten die Ökonomen die Effekte eines Wachstumsschocks – also des sprunghaften Rückgangs der Wachstumsraten in China um zwei Prozent. Dies würde vor allem Japan (das am Mittwoch auch abgewertet wurde, siehe Infobox) stark treffen, wo das Wachstum um knapp 0,7 Prozent geringer ausfallen würde, so die OECD. Aber auch die USA und die Eurozone müssten sich dann mit einem um 0,3 Prozent geringeren Wachstum abfinden. (jaz)
AUF EINEN BLICK
Japan wurde am Mittwoch von der Ratingagentur Standard & Poor's weiter herabgestuft. Die Bonitätsnote werde von „AA-“ auf „A+“ reduziert, teilte S&P am Mittwoch in Tokio mit. Die schwache wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen Jahren habe die Kreditwürdigkeit weiter geschwächt, schreibt S&P. Die Regierung dürfte mit ihrer Wirtschaftspolitik in den nächsten ein bis zwei Jahren kaum in der Lage sein, das Wachstum zu beleben und die Deflation zu bekämpfen. Die Regierung von Premierminister Shinzo Abe hatte versucht, mit einer lockeren Geldpolitik, einer expansiven Fiskalpolitik und Strukturreformen die Konjunktur anzuschieben. Die Reformen stocken aber. Die Ratingagentur Fitch bewertet Japan derzeit mit „A“ noch eine Stufe schlechter. Moody's stuft Japan mit „A1“ genauso wie S&P ein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2015)