Franziskus in Amerika: Politik-Pingpong mit dem Papst

Papst ist in den USA eingetroffen
Papst ist in den USA eingetroffenReuters
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Franziskus in Amerika. US-Präsident Obama und seine republikanischen Gegner erhoffen sich vom Papstbesuch Rückenwind für ihre Anliegen. Beide dürften enttäuscht werden.

Washington. Straßensperren legten den Verkehr in Amerikas Hauptstadt schon Stunden vor Ankunft des Pontifex lahm, die Beamten der US-Regierungsstellen wurden angewiesen, am Mittwoch und Donnerstag nach Möglichkeit von zu Hause aus zu arbeiten: Der erste Besuch von Papst Franziskus in den USA stellt Washington vor gehörige logistische Herausforderungen.

Neben der enormen öffentlichen Begeisterung, die große Menschenmassen bei Franziskus' Messen in der Hauptstadt, Philadelphia und New York zusammenziehen wird, hat diese Reise in Washington auch politische Erwartungen geweckt. Sowohl Präsident Barack Obama als auch seine republikanischen Gegner, die in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit stellen, erhoffen sich für ihre Anliegen moralische Unterstützung durch den Heiligen Vater. Franziskus wird heute, Mittwoch, als erstes Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche eine Ansprache vor dem Kongress halten.

Obama wünscht sich vor allem, dass der Papst diese Gelegenheit nutzen wird, um bei den Senatoren und Abgeordneten für politisches Handeln gegen den Klimawandel, für eine Reform der Strafjustiz und vor allem für die Öffnung gegenüber dem einstigen regionalen Erzfeind Kuba zu werben. „Wir hoffen, dass seine moralische Autorität uns dabei helfen wird, einige Anliegen voranzutreiben, die sehr hoch auf unserer Agenda sind“, sagte Charles Kupchan, Obamas Chefberater für alle europäischen Angelegenheiten, vergangene Woche im Gespräch mit Journalisten.

Die Republikaner wiederum setzen mit zunehmender Beschleunigung des Vorwahlkampfs um die US-Präsidentschaft immer stärker auf Botschaft, dass Christen in den Vereinigten Staaten in ihrer Glaubensfreiheit beschnitten würden. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom heurigen Juni, demzufolge die Ehe Gleichgeschlechtlicher rechtens ist, verletze die Glaubensfreiheit konservativer Gläubiger ebenso wie die im Jahr 2010 vom Weißen Haus entworfene und im Kongress ohne eine einzige republikanische Stimme eingeführte Krankenversicherungspflicht, vulgo Obamacare.

Absurde Vergleiche der Konservativen

Christliche Standesbeamte müssten nun homosexuelle Paare trauen, christliche Organisationen für Mitarbeiterinnen Krankenversicherungen abschließen, die auch Antibabypillen finanzieren. Mit Kim Davis, einer Standesbeamtin aus Kentucky, die ob ihrer Weigerung, gleichgeschlechtlichen Paaren Ehedokumente auszustellen, für einige Tage in Haft genommen wurde, haben sich die Republikaner eine Symbolfigur geschaffen. Manch Republikaner setzte Davis mit Rosa Parks gleich, jener schwarzen Bürgerrechtlerin, die in den 1950er-Jahren mit ihrem Protest in einem segregierten Autobus einen Meilenstein im Kampf gegen die Benachteiligung schwarzer US-Bürger setzte. Nicht nur der „Economist“ nannte die Gleichsetzung „absurd“.

Es ist allerdings zweifelhaft, dass Amerikas Linke oder Rechte den Papst ideologisch für sich werden beanspruchen können. „Niemand wird damit glücklich sein, was er sagt“, meinte der belgische Kirchenrechtler Kurt Martens von der Catholic University in Washington vergangene Woche bei einer Diskussion im Council on Foreign Relations. „Er wirft nämlich Fragen auf, die wir lieber nicht beantworten würden.“

US-Katholiken stark gespalten

Auch die Hoffnung, durch die öffentliche Vereinnahmung des päpstlichen Charismas bei bestimmten Wählergruppen zu punkten, ist vermutlich eher unbegründet. Am Dienstag veröffentlichte Umfragedaten des Pew Research Centers zeigen nicht nur, wie gespalten die US-Katholiken in ethischen Fragen sind. Sie legen auch die Paradoxie offen, dass jene, die traditionell Kernwähler der Demokraten und Republikanern sind, Anschauungen zuneigen, die den politischen Vorhaben beider Parteien widersprechen.

So sagen 50 Prozent der weißen Katholiken, dass die Kirche die Ehe Homosexueller anerkennen solle; doch nur 39 Prozent der Hispanics sind dieser Ansicht. Homosexualität an sich ist für 59 Prozent der katholischen Latinos eine Sünde, aber nur für 37 Prozent der Weißen. 68 Prozent der hispanischen Gläubigen halten es für eine Sünde, abzutreiben, aber nur 52 Prozent der Weißen.

Beobachter erwarten daher, dass Franziskus den Amerikanern keine allzu strengen Moralpredigten halten wird: „Er wird eher den Eindruck erwecken, dass er gekommen ist, um zu lernen“, sagte der langjährige Vatikan-Reporter John Thavis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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