Kirche/Kolonialismus: Heiligenschein für Kaliforniens Gründerväter

Wider Image: Pope To Canonise Friar Serra
Wider Image: Pope To Canonise Friar Serra(c) REUTERS (MIKE BLAKE)
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Beschützer der Indigenen oder Handlanger des Völkermordes? Der Papst eröffnet mit der Heiligsprechung des Missionars Junípero Serra eine Debatte über die moralische Beurteilung historischer Persönlichkeiten.

Die Frauen wurden nachts eingesperrt, wer seine Verwandten im Dorf besuchen wollte, bekam Schläge: Das Leben in den spanischen Missionen entlang der Pazifikküste war für die dort lebenden Ureinwohner hart. Die ummauerten Siedlungen dienten nicht bloß der sozialen Kontrolle über die frisch konvertierten Katholiken, sie waren schon bald nach ihrer Gründung Mitte des 18.Jahrhunderts für das Bestehen der spanischen Kolonialbesitzung Alta California entscheidend: Ohne den Ackerbau und die Viehzucht der indianischen Ureinwohner hätten die 3200 europäischen Kolonisten – mehr waren es zu keiner Zeit – sich auf Dauer nicht ernähren können.

Die Missionen waren somit die Keimzellen dessen, was sich im Verlauf des nächsten halben Jahrhunderts als kalifornisches Staatswesen festigen sollte. Ohne ihren Gründer, den spanischen Missionar Junípero Serra, sähe Kalifornien heute ganz anders aus, sagt der Historiker Robert Senkewicz im „Presse“-Gespräch: „Als historische Figur hat Serra einen Prozess in Gang gesetzt, der Kalifornien zu dem gemacht hat, was es heute ist.“ Dieser Gründervater des wirtschaftlich stärksten Teilstaates der USA wird morgen, Mittwoch, in Washington von Papst Franziskus heilig gesprochen werden. Das ist eine doppelte Premiere: Serra ist der erste heilige nordamerikanische Hispanic, noch nie gab es auf amerikanischem Boden eine Heiligsprechung. 25.000 Gläubige werden dem Gottesdienst vor der Washingtoner Basilika folgen; Franziskus wird das Hochamt ausschließlich auf Spanisch zelebrieren.

Einladung und Zwang

Die historische Figur Serra entfacht seit Langem hitzige Streitgespräche über den Kolonialismus und die Rolle der Kirche. Die weltanschaulichen Gräben trennen im Fall dieses 1713 auf Mallorca geborenen und 1784 in Kalifornien gestorbenen Franziskaners die Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner: Für die einen war Serra Handlanger des Völkermordes an ihren Ahnen. Für die anderen war er ein Beschützer vor der Willkür der weltlichen spanischen Kolonialmacht. Die historische Wahrheit liegt, wie so oft, zwischen diesen beiden Extremen, sagt Senkewicz. Der Professor für frühkalifornische Geschichte an der University of Santa Clara hat gemeinsam mit seiner Frau Rose Marie Beebe ein Jahrzehnt damit verbracht, Serras Lebensgeschichte nachzuzeichnen. Ihre Biografie „Junípero Serra: California, Indians, and the Transformation of a Missionary“ liefert ein Bild dieses Kirchenmannes, das weder Anhängern noch Gegnern gefallen wird.

„Das evangelikale Leben war eine Mischung aus Einladung und Zwang: man wurde eingeladen zu konvertieren und sich den Missionen anzuschließen – aber sobald man drinnen war, konnte man sie nicht mehr verlassen. Dieses Konzept ist für uns heute sehr schwer zu verstehen“, sagt Senkewicz. Viele Ureinwohner schlossen sich freiwillig den Missionen und dem katholischen Glauben an – allerdings aus einer Notlage heraus, an der die Kolonisten schuld waren. Das Vieh der Siedler fraß und zertrampelte nämlich die Pflanzen und vertrieb das Wild, von denen sie sich die jahrhundertelang ernährt hatten. Die Missionen boten zudem Schutz vor der Willkür mancher Siedler; das nächtliche Einsperren der Frauen und Mädchen in ihren Unterkünften war eine Maßnahme gegen ihre Vergewaltigung. „Niemand wurde in Serras Missionen zwangsweise getauft“, sagt Senkewicz. „Es ist reine Erfindung, dass spanische Soldaten ausschwärmten, um die Leute einzufangen.“

Todesfalle Missionswesen

Serras Vorstellung von den Indigenen entsprach dem typischen wohlwollenden Rassismus europäischer Kolonisten im 18. Jahrhundert: Sie waren für ihn unschuldige Kinder Gottes, die in den Schoß der Kirche geführt werden mussten. Damit erfüllte er auch politische Ziele des Hofes in Madrid. „Die Mission sollte sowohl der Assimilation in eine europäische Gesellschaft als auch der Einführung europäischer Landwirtschaft dienen“, erklärt Senkewicz.

Serra stellte sich, wo er konnte, vor seine Schützlinge. Er bewahrte zum Beispiel einen Mann, der 1775 während einer Revolte einen Missionar getötet hatte, vor der Hinrichtung, damit er durch die Taufe spirituell gerettet werden könne. „Denn das ist der einzige Zweck für unser Kommen und seine einzige Rechtfertigung“, schrieb er in seiner erfolgreichen Intervention an den Vizekönig in Mexiko-Stadt. Der heutige Erzbischof von Los Angeles, der im mexikanischen Monterrey geborenen José Gomez, nennt Serra einen Vorkämpfer gegen die Todesstrafe. Der Papst sieht das genauso: Serra sei „einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten“, sagte Franziskus im Mai. „Er hat das Evangelium in die Neue Welt gebracht und dabei die eingeborenen Völker gegen Missbrauch durch die Kolonisten geschützt.“

Allerdings wurde Serras Missionssytem für tausende Indigene zur Todesfalle, gibt Senkewicz zu bedenken: „Es machte tödlichen Pocken- und Masernepidemien schlimmer, weil es viele Menschen auf engem Raum zusammenbrachte.“ Bald stellten die Missionare fest, dass mehr Ureinwohner starben, als sie taufen konnten. „Viele Priester redeten sich dann ein, dass sie auf diese Weise schneller in den Himmel kommen“, sagt Senkewicz. „Heutzutage ist es sehr schwer, so etwas zu lesen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2015)

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