Tomas Schweigen: „Theater muss den Moment einfangen“

(c) Christine Ebenthal
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Tomas Schweigen, neuer Leiter des Wiener Schauspielhauses, lässt sich gern überraschen. Schon als Schüler hat ihn Thomas Bernhard begeistert.

Stahlgestelle, Werkbänke, Plastikplanen: Noch ist Baustelle, wo ab Ende Oktober Tomas Schweigens neue Bühne sein wird. Der gebürtige Wiener übernimmt mit der neuen Saison das Wiener Schauspielhaus – und kehrt damit nach Jahren im Ausland in seine Heimatstadt zurück. Schweigen hatte stets einen Fuß im Stadttheater, einen in der freien Szene, 2004 gründete er die Theatergruppe Far a Day Cage, ab 2012 war er Schauspieldirektor am Theater Basel. In Wien will er einiges neu anpacken, verriet er dem „Schaufenster“.

Sie sind in Wien aufgewachsen und jeden Tag am Schauspielhaus vorbeigegangen. Mit welchen Gefühlen gehen Sie heute hinein?
Es ist natürlich ein schönes Gefühl. Vielleicht ist der Druck ein bisschen größer, wenn man an einem Haus inszeniert, das man schon länger kennt.


Sie haben hier studiert, waren ein Jahr Schauspieler am Tiroler Landestheater. „Regisseur wollte er dann aber dort werden, wo die Szene weniger hierarchisch ist und nicht alles im Schatten des dominanten Burgtheaters steht“, schrieb die „taz“ über Sie. Hat sich in Wien etwas verändert, weil Sie jetzt doch zurückkommen?
Wien hat sich schon verändert. Das Burgtheater ist natürlich immer noch groß, und der Schatten ebenso, das wird sich nicht ändern – das ist auch nicht unbedingt etwas Schlechtes. Aber als ich in die Schweiz gegangen bin, war der Boden dort ein ganz anderer als in Wien. Ich habe ja auch viel in der freien Theaterszene gearbeitet. In Wien war die freie Szene wie die zweite oder dritte Regionalliga. Das oberste Ziel der Leute war oft, ans Burgtheater zu kommen. In Zürich hatte die freie Szene ein wirklich hohes Niveau   – was auch an dem guten Fördersystem lag. Sowohl Zuschauer als auch Künstler machen diesen Spagat wie selbstverständlich und gehen einmal in ein institutionalisiertes Theater, einmal zu einer freien Gruppe. In Wien gab es das damals noch nicht.


Gibt es heute mehr Durchlässigkeit zwischen Stadttheatern und der freien Szene?
Die Durchlässigkeit, die ich mir wünschen würde, ist eine aufseiten des Publikums: dass Zuschauer heute ins Brut gehen, morgen ins Schauspielhaus und am Wochenende ins Burgtheater. Ich habe meine Theatergruppe Far a Day Cage ins Basler Theater geholt und gemerkt, dass es einer freien Gruppe durchaus guttut, sich abzugrenzen. Man ist sozusagen in der Opposition.


Was wird sich unter Ihrer Intendanz im Schauspielhaus ändern? Wie wollen Sie es positionieren?
Wir haben uns viel mit der Geschichte des Hauses beschäftigt; sie wird eine große Rolle in dieser Frage spielen. Ich bereite diese Spielzeit auch nicht allein vor, sondern mit dem ganzen Team. Das ist mir ein Anliegen: dass sich die Künstler, die hier arbeiten, mit dem Haus identifizieren. Wir haben auch ein neues Dramaturgiemodell: Es gibt einen leitenden Dramaturgen, Tobias Schuster, und daneben einen Pool aus einem Bühnenbildner, einem Musiker, einer Kostümbildnerin, einer Produktionsleiterin, mit denen wir neue Projekte planen und besprechen. Das hat sich bis jetzt ganz gut bewährt.


Behalten Sie Schauspieler aus dem alten Ensemble?
Nein, es ist komplett neu. Sieben Schauspieler sind im festen Ensemble, ein europäisch-internationales Team. Einer ist Wiener, er hat in großen deutschen Theatern gearbeitet und kommt jetzt so wie ich nach Wien zurück. Zwei Leute bringe ich aus dem Far-a-Day-Cage-Schauspielpool mit.


Bleibt das Schauspielhaus wie unter Ihrem Vorgänger, Andreas Beck, ein Autorentheater? Kommen Klassiker ins Programm?
Klassiker werden die Ausnahme sein. Klassiker zu interpretieren ist das eine, aber Theater ist nur lebendig, wenn es sich mit dem Moment beschäftigt. Wir bleiben ein zeitgenössisches Autorentheater. Mein Vorgänger, Andreas Beck, hat es immer als Autorentheater im klassischen Sinn definiert – ich will das überdenken.


Was bedeutet das genau?
Wir wollen darüber nachdenken, was Autorenschaft heute bedeutet. Im klassischen Sinn schreibt ein Autor im Park oder Kaffeehaus ein Stück, und wir führen es dann auf. Unser Ansatz ist aber weiter gefasst. In meiner ersten Spielzeit wird jedes Projekt einen anderen Ansatz von Autorenschaft verfolgen. Wir haben zum Beispiel ein Stück von Chris Thorpe entdeckt, einem englischen Performer und Autor, der total spannend ist. Das wird unsere zweite Premiere sein   – und das ist der klassische Fall. Der andere Fall tritt etwa bei der Eröffnung ein: Das gesamte Ensemble ist da zu sehen, ich inszeniere. Das Stück entsteht bei der Probenarbeit. Wir arbeiten auch mit Texten, die wir finden und erfinden. Wir beschäftigen uns mit dem Zusammenleben und den Problemen, die uns im Moment umgeben. Es wird ein durchaus politischer Abend.


Wird das Schauspielhaus auf die Flüchtlingskrise reagieren?
Ja. Man kann als Theater im Moment nicht einfach nicht reagieren. Als wir uns die ersten Gedanken gemacht haben, wie wir unseren Spielplan gestalten wollen, war gleich klar, dass es ein politischer Spielplan werden wird.


Viele andere Theater veranstalten Benefizabende, oder sie holen Flüchtlinge ins Publikum oder auf die Bühne. Ist Ähnliches geplant?
Das passiert im Moment eher im Privaten. Es ist uns aber als Theater ein großes Anliegen, Signale zu setzen und gleichzeitig etwas zu machen, was tatsächlich helfen kann.


Was sehen Sie sich privat im Theater an?
Ich bin extrem offen. Ich kann auch Spaß an Stücken haben, die ich selbst nicht inszenieren würde – zum Beispiel eine Boulevardkomödie. Ich sehe gern Dinge, die mich überraschen, weil sie Konventionen auf den Kopf stellen oder mit den Erwartungen des Zuschauers spielen. Quer durch alle Genres. Mich interessiert immer: Wie könnte das Theater von morgen aussehen?


Was waren Ihre ersten Theatererfahrungen?
Ich hatte, wie viele Wiener Kinder, ein Theater-der-Jugend-Abo. Ich komme aus keiner Künstlerfamilie, aber meine Eltern gingen immer gern ins Theater. Im Gymnasium hatte ich dann eine tolle Deutschlehrerin, die mich u. a. für Thomas Bernhard begeistert hat. Selbst zu spielen hat mich damals nicht interessiert. Es gab in der Schule eine Theatergruppe, da war ich aber nicht dabei. Mich hat als Jugendlicher die Musik mehr interessiert, ich habe in einer Band Gitarre gespielt und gesungen. Beim Theater bin ich über Umwege gelandet. Eigentlich wollte ich nach der Matura Film studieren. Ich habe aber meine Bewerbungsmappe für die Filmakademie nicht fertig bekommen, und weil es Filmwissenschaft an der Uni allein nicht gegeben hat, habe ich einfach Theaterwissenschaft studiert. Dann habe ich Theater viel spannender als Film gefunden, also bin ich dabei geblieben.


Was machen Sie, wenn Sie nicht Theater machen?
Im Moment habe ich keine Zeit für Hobbys. Sonst mache ich, was man eben so macht: lesen, schwimmen, ins Kino gehen. Ganz stinknormal. Das Theater selbst ist schon ein großes Hobby. Ich konnte das nie trennen.

Tipp

Schauspielhaus Wien. Tomas Schweigen übernimmt die Intendanz von Andreas Beck. Die erste Premiere findet am 31. 10. statt, der Spielplan wird erst bekannt gegeben. Das Programm gibt es ab 8. 10. auf schauspielhaus.at.

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