Sajdik: „Den Menschen das Leben vereinfachen“

Martin Sajdik
Martin Sajdik(c) APA/EPA/TATYANA ZENKOVICH (TATYANA ZENKOVICH)
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Martin Sajdik, OSZE-Vermittler im Ostukraine-Konflikt, hält eine Stabilisierung vor Ort für möglich.

Die Presse: Seit einem Monat hält die Waffenruhe im Donbass. Warum ist jetzt möglich, was vorher nicht möglich war?

Martin Sajdik: An sich sagt man: Eigenlob stinkt. Aber hier ist die Initiative tatsächlich von mir ausgegangen, wurde von der Trilateralen Kontaktgruppe sofort übernommen und durch den ukrainischen Präsidenten unterstützt. Der Zeitpunkt – 1. September – war bewusst gewählt: Der Schulanfang ist ein heiliges Datum im postsowjetischen Raum. Die Idee war: Schulanfang in Frieden.

Kann die Waffenruhe längerfristig halten?

Am Anfang dachte ich, wenn wir Glück haben, hält sie eine Woche. Jetzt beginne ich daran zu glauben, dass sie länger hält.

Was sind die Motive der Konfliktparteien? Nur der Schulanfang kann es nicht sein.

Es ist nicht meine Aufgabe, Motivforschung zu betreiben. Ich will Fortschritte erzielen.

Wie lautet Ihre Prognose: Bleibt die Kontaktlinie in den nächsten Monaten stabil?

Ich habe davon auszugehen, dass die Kontaktlinie stabil bleibt. Wobei man anfügen muss, dass die derzeitige Kontaktlinie nicht jene ist, die in Minsk im Februar vereinbart wurde. Seit Minsk haben die Separatisten Gebietsgewinne im Ausmaß von circa 1500 Quadratkilometern gemacht. Man kann nachvollziehen, dass diese Entwicklung den Ukrainern nicht recht ist.

Die Verhandlungen in Minsk wirken von außen besehen sehr zäh.

Ein wesentlicher Fortschritt ist, dass am 29. September der Abzug leichter Waffen vereinbart wurde. Das ist eine wahnsinnig wichtige Entwicklung vor dem Gipfel am heutigen Freitag in Paris und kann ihn beeinflussen.

Was sind Ihre Erwartungen an den Gipfel?

Wir brauchen eine klare politische Linie zu Prozessen wie der Abhaltung von Wahlen in den „bestimmten Bezirken der Gebiete Donezk und Lugansk“ (offizielle Sprachregelung für Separatistengebiete, Anm.). Wenn dort die Lokalwahlen wie angekündigt tatsächlich am 18. Oktober und 1. November stattfinden, dann liegt über dem politischen Prozess ein langer und dunkler Schatten. Es wäre gut, wenn aus Paris zu dieser Frage klare Signale kämen.

Ein Signal, die Wahlen abzublasen?

Wünschenswert wäre es. Es wurde auch von Lugansk der 21. Februar 2016 als möglicher Ausweichtermin genannt. Aber eigentlich sollten die Minsker Vereinbarungen wie vorgesehen bis Jahresende umgesetzt werden.

Eine Einigung in allen Punkten – Amnestie, Verfassungsreform, Gefangenenaustausch – bis Jahresende ist unrealistisch.

Unrealistisch ist es nicht. Wir können viel erreichen, wenn die nötige Vernunft da ist.

Mir scheint, Ihr Job ist ein langjähriger.

Ich hoffe nicht. Ich bin am 1. August in Pension gegangen und bezeichne mich jetzt als „Botschafter in Unruhe“ (lacht). Es ist eine wahnsinnig spannende Aufgabe, aber ich sehe das so: Es geht darum, den Menschen in dieser Region das Leben zu vereinfachen. Das nächste Thema ist Entminung. Die Todesfälle an der Kontaktlinie in letzter Zeit wurden nur durch Minen verursacht. Eine Message des Gipfels muss sein: Wir werden gemeinsam in dieser Richtung arbeiten.

ZUR PERSON

Der österreichische Diplomat Martin Sajdik ist seit Juni im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) als deren Sondergesandte in der Trilateralen Kontaktgruppe aktiv. Die Kontaktgruppe – bestehend aus Repräsentanten der Ukraine, Russlands und OSZE – soll die Inhalte des Abkommens von Minsk („Minsk II“, Februar 2015) umsetzen. Dabei geht es neben dem wichtigsten Punkt – der Einhaltung der Waffenruhe – um politische Agenden (Wahlen, Verfassungsreform) und die Verbesserung der humanitären Lage vor Ort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2015)

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