Entschärft sich die Lage im Donbass?

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Nach Feuerpause und Einigung über Waffenabzug gibt es erstmals Chancen für eine politische Lösung in der Ostukraine. Doch noch liegen Stolpersteine im Weg - etwa die Lokalwahlen.

Wien/Kiew/Moskau. Die Nachrichten aus dem ostukrainischen Konfliktgebiet geben Anlass zur Hoffnung: Nachdem ein Anfang September von der OSZE vermittelter Waffenstillstand seit mehr als einem Monat hält, werden nun weitere deeskalierende Schritte gesetzt. Die Konfliktparteien haben nach eigenen Angaben mit dem Abzug von Waffen von weniger als 100 Millimeter Kaliber begonnen. Diese Einigung war in der Vorwoche in der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk erzielt worden.

Auch beim Gipfel im Normandie-Format am vergangenen Freitag in Paris haben die Spitzen Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands zumindest in einem Punkt eine klare Message gesandt: Die Lokalwahlen der Separatisten, die für 18. Oktober und 1. November in Donezk respektive in Luhansk angesetzt sind und zu denen nur prorussische Kandidaten zugelassen sind, sollten auf nächstes Jahr verschoben werden.

Die Wahlen gefährden den – auch von den Separatisten offiziell mitgetragenen – Friedensprozess; sie müssten unter anderen rechtlichen Rahmenbedingungen – Zulassung von Opposition, ukrainisches Wahlgesetz – stattfinden. In der Ukraine finden Lokalwahlen am 25. Oktober statt. Das Kalkül der Separatisten ist indes klar: Mit jedem erfolgreich abgehaltenen Wahlgang wird eine politische Festigung ihres Regimes erzielt; Kiew müsse diese Realitäten anerkennen, so die Forderung. Weitere ungeklärte Fragen dem Weg zu einer politischen Lösung sind: Welchen Status könnte das Gebiet in Zukunft erhalten? Wer wird für die Grenzkontrollen mit Russland kontrollieren dürfen?

Russlands Präsident Wladimir Putin hat nun auf dem Pariser Gipfel versprochen, seinen Einfluss auf die Separatisten bezüglich der Verschiebung der Wahlen geltend zu machen. Aus Donezk kam zunächst keine Reaktion. Ist es ein Spiel mit verteilten Rollen à la „good cop/bad cop“ mit Putin als Konziliantem, der nun vorgibt, auf die Lokalherren einzuwirken? Könnte es tatsächlich zu einer Verschiebung kommen?

Russlands Präsidenten könnte tatsächlich daran gelegen sein, die Lage im Donbass zu beruhigen. Nur so lassen sich die lästigen EU-Sanktionen loswerden, die das Land wirtschaftlich beeinträchtigen und Putin persönlich stören. Verhält Moskau sich konziliant, könnten Stimmen innerhalb der EU noch lauter werden, sie mit Jahresbeginn 2016 schrittweise aufzuheben. Zudem ist Moskau derzeit mit seiner Syrien-Intervention beschäftigt. Russland kann militärisch zwei Brandherde bewältigen, aber die Ukraine und Syrien sind wie zwei korrespondierende Gefäße: Derzeit verblüfft Putin die internationale Gemeinschaft in Syrien; in der Ostukraine könnte er den Friedensstifter spielen. Zudem ist die Lage im Donbass verfahren: Die anfänglichen Neurussland-Träume haben sich nicht erfüllt. Militärische Gewinne sind nicht mehr so leicht zu machen. Der Donbass ist für Russland ein neues Milliardengrab.

Amnestie für Separatisten?

Dennoch gibt es im Prozess noch genügend Stolpersteine: Würden die Wahlen tatsächlich verschoben, dann bedeutet das eine Verlängerung des Minsk-Prozesses über Jahresende. Freilich scheint heute schon die erfolgreiche Abarbeitung aller Punkte des Abkommens nicht besonders realistisch. Wenn Kiew „legitime“ Wahlen bekommt, könnte das bedeuten, dass die Separatisten im Tausch ein entgegenkommendes Amnestiegesetz erhalten. Für die Ukraine ein bitteres Geschenk, das innenpolitischen Sprengstoff birgt – ebenso wie die Verfassungsreform, die erst auf den Weg gebracht werden muss.

Ukrainische Experten wie Oleksij Melnik dämpfen Erwartungen auf eine rasche Lösung. Melnik erinnert die derzeitige „Aufregung“ um die Lokalwahlen an eine Komödie von William Shakespeare: „Viel Lärm um nichts“. Es gehöre zur Taktik des (pro-)russischen Lagers, immer wieder etwas einzufordern, so Melnik. Tatsächlich erinnert die heutige Situation an die Lage vor dem Unabhängigkeitsreferendum im Donbass im März 2014. Damals pfiff Putin die Separatisten offiziell zurück. Sie führten ihre Abstimmung dennoch durch.

AUF EINEN BLICK

Nach dem Ukraine-Gipfel in Paris gibt es im Konfliktgebiet Donbass Zeichen der Entspannung. Sowohl prorussische Separatisten als auch Regierungseinheiten begannen nach eigenen Angaben mit dem vereinbarten Teilabzug von Waffen. Streitpunkt bleiben die von den Separatisten geplanten Wahlen, die die Regierung in Kiew ablehnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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