Dominic Thiem greift heute bei den Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle gegen den Polen Jerzy Janowicz ins Geschehen ein, die Umstände sind andere als vor einem Jahr.
Wien. Es war kurz und ernüchternd, das vorjährige Gastspiel von Dominic Thiem in der Wiener Stadthalle. So viel hatte er sich vorgenommen, wollte vor heimischem Publikum groß aufspielen, glänzen – und wurde letztlich gleich zum Auftakt vom Niederländer Robin Haase in drei Sätzen entzaubert. Niederlagen schmerzen stets, jene im „eigenen Wohnzimmer“ ganz besonders. Dieser Tage kehrte Thiem eben dorthin zurück, der 22-Jährige ist das Zugpferd der Erste Bank Open. Noch mehr, nachdem die Last-Minute-Verpflichtung von Roger Federer scheiterte.
Der Niederösterreicher hat es in der Vergangenheit schon des öfteren verstanden, Druck richtig zu kanalisieren, der letztjährige Auftritt am Vogelweidplatz war eher die Ausnahme denn die Regel. In der laufenden Saison gelang Thiem der endgültige Durchbruch, der von Günter Bresnik trainierte Rechtshänder ist in der erweiterten Weltspitze angekommen. Drei Turniersiege (Nizza, Umag, Gstaad, allesamt ATP 250) zeugen von Qualität, sie bildeten die Basis für den erstmaligen Einzug in die Top 20 der Weltrangliste. Thiem, aktuell auf Position 19 geführt, gilt als Vielspieler. Wien ist bereits sein 30. Turnier in diesem Jahr, kein Spieler aus den Top 20 hat diesbezüglich mehr zu bieten. Im körperlichen Bereich scheint ganze Arbeit geleistet worden zu sein. Thiem nahm in der Vorbereitung auf 2015 sechs Kilogramm ab. „Ich fühle mich um einiges besser als letztes Jahr“, sagt Thiem, der 2014 gegen Ende seiner ersten vollen Saison auf der ATP Tour über schwindende Kräfte klagte.
Seiner Zeit voraus
Die Erfolge schlugen sich in den vergangenen Monaten auch finanziell nieder. Selbst im Fall eines Auftaktouts in der Stadthalle wird Thiem sein Jahres-Preisgeld auf über eine Million Dollar schrauben, bei einem Halbfinaleinzug stünden bereits über zwei Millionen Dollar Karriere-Preisgeld zu Buche. Große Investitionen sind dem Sohn zweier Tennis-Lehrer dennoch fremd. Am liebsten deckt sich Thiem mit Fanutensilien des FC Chelsea ein.
Hätte Thiem einen klar abgesteckten Plan für seine Karriere, er wäre seiner Zeit definitiv voraus. Kein vor ihm klassierter Spieler in der Weltrangliste ist jünger, der 20-jährige Australier Nick Kyrgios lauert auf Platz 30. Doch in den höheren Ranking-Gefilden wird die Luft zunehmend dünner, die Gegner stärker. Ein weiterer Aufstieg ist Thiem zwar allemal zuzutrauen, es bedarf jedoch gewiss Geduld und einer Leistungssteigerung. Konstant starke Auftritte bei Grand Slams sowie Events der Kategorie 1000 und 500 sind dafür Voraussetzung, Thiem hat die Problematik erkannt.
In der Wiener Stadthalle möchte der Lokalmatador nächste Schritte in seiner Entwicklung setzen, in Runde eins kommt es heute zum Schlagabtausch mit Jerzy Janowicz. Der Pole, 2,03 Meter groß, fühlt sich auf schnellen Böden wohl, Thiem ist gewarnt. Er bezeichnete die einstige Nummer 14 und aktuelle Nummer 65 der Weltrangliste als „äußerst unangenehmen Gegner“. Über mögliche Kontrahenten im weiteren Turnierverlauf hat sich Thiem noch keine Gedanken gemacht – auch das ist eine Erkenntnis des Vorjahres.
Miedler, Novak ausgeschieden
Das Turnier begann aus österreichischer Sicht mit Niederlagen. Qualifikant Lucas Miedler, 19, scheiterte mit 3:6, 6:2, 3:6 am Letten Ernests Gulbis, lieferte dabei aber eine weitere Talentprobe ab. Dennis Novak, 22, verlor gegen Radek Štěpánek (CZE) 4:6, 3:6.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)