Der deutsche Bundestagspräsident kritisiert mangelnde Transparenz beim EU/ US-Freihandelsabkommen.
Wien/Berlin/Brüssel. Von Beginn an war Gegnern des geplanten transatlantischen Freihandelsabkommens der EU mit den USA der intransparente Verhandlungsstil ein Dorn im Auge. Nun droht der deutsche Bundestagspräsident, Norbert Lammert (CDU), aus ebendiesem Grund mit einem Nein zu dem Pakt. Er halte es für ausgeschlossen, „dass der Bundestag einen Handelsvertrag zwischen der EU und den USA ratifizieren wird, dessen Zustandekommen er weder begleiten noch in alternativen Optionen beeinflussen konnte“, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Lammerts Forderung daher: mehr Transparenz. Gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sei er sich einig, dass der „bisherige, äußerst begrenzte Zugang über die jeweiligen US-Botschaften indiskutabel“ sei – „sowohl für die Regierung als auch für das Parlament“.
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sei der Ansicht, dass die relevanten Verhandlungsdokumente, insbesondere Ergebnisse im Verhandlungsprozess, „allen Mitgliedstaaten der EU und dort neben den Regierungen auch den Parlamenten zugänglich sein müssen“, so Lammert. „Und ich werde darauf bestehen.“
Die Verhandlungen über das Abkommen hatten im Juli 2013 begonnen. Die Freihandelszone soll der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks einen Schub geben, indem Zölle und Handelshemmnisse abgebaut werden. Gegner befürchten jedoch eine Erosion von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutzstandards sowie eine Schwächung demokratischer Institutionen. Die Ablehnung gegen den geplanten Handelspakt ist besonders in Österreich und Deutschland groß. Ein Abschluss der Verhandlungen bis Ende 2016 wird daher zunehmend in Zweifel gezogen.
Abschluss 2016 unrealistisch
Um zumindest einen der strittigen Punkte zu entschärfen, hat die EU-Kommission jüngst ein neues Schlichtungssystem zum Investorenschutz vorgeschlagen. Streitfälle zwischen Investoren und Staaten sollen danach künftig in öffentlichen Anhörungen vor einem neuen Handelsgerichtshof verhandelt und entschieden werden. Was Washington zu diesem Vorschlag sagt, ist allerdings noch nicht bekannt.
Der transatlantische Freihandelsraum soll durch das Abkommen globale Maßstäbe für den Verkehr von Waren und Dienstleistungen setzen; der größte Wirtschaftsraum der Welt mit 800 Millionen Verbrauchern könnte entstehen. Sollte das Abkommen nicht zustande kommen, warnen Befürworter, könnte Europa an Einfluss bei der Regulierung des Welthandels einbüßen. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2015)