Mit Schock und Verzweiflung haben die Angehörigen auf die Nachricht über den Absturz reagiert. Viele von ihnen erfuhren erst in der Wartehalle des Flughafens von dem Unglück. Russlands Präsident Putin ordnete Hilfe für die Familien an.
Die Fotos zeigen eine strahlende junge Frau im Urlaubsoutfit. Turnschuhe, große Sonnenbrille, bunt gemusterter Minirock, knallgelbes Top ohne Träger. Glücklich lacht Viktoria S. in die Kamera, hinter ihr die Promenade mit Palmen und großen Werbeplakaten. Dass der Strand in der Nähe ist, lässt sich erahnen. Stolz postete die 24-jährige Russin die Ferienfotos aus dem ägyptischen Touristenort Sharm el-Sheikh im Internet an ihre Freunde zu Hause. Sie sollten zu den letzten Bildern von ihr gehören. Viktoria S. war einer der 224 Passagiere, die beim Absturz der russischen Maschine ums Leben kamen.
„Sie hat so lang auf diese Reise gewartet, und jetzt ist sie nicht mehr da“, sagte ihre Freundin Jewgenia, erschüttert von der Nachricht, der britischen Zeitung „Guardian“. Die beiden Freundinnen hatten noch kurz vor dem Abflug Viktorias gechattet. Jewgenia erzählt, ihre Freundin habe fest vorgehabt, noch einmal nach Sharm el-Sheikh zurückzukehren – so gut habe ihr der Urlaub gefallen.
Bilder des russischen Fernsehens zeigten verzweifelte, in Tränen aufgelöste Angehörige am Pulkowo-Flughafen in St. Petersburg. Viele von ihnen erfuhren erst in der Wartehalle, dass die Maschine, die um 12.20 Uhr Ortszeit hätte landen sollen, den Flughafen nicht erreichen würde. Der russische Präsident, Wladimir Putin, ordnete Hilfe für die Familienmitglieder der Absturzopfer an. Sie wurden mit Bussen in ein Hotel nahe dem Flughafen gebracht, wo ein Krisenzentrum eingerichtet wurde und die Angehörigen psychologisch betreut werden sollen. In Moskau gab der Vizeminister für Katastrophenfälle, Wladimir Stepanow, eine Erklärung ab. Er bitte darum, „die bereitgestellten Anlaufpunkte, Psychologen und Ärzte am Flughafen rund um die Uhr für die Familien verfügbar zu halten und uns alle drei Stunden über die Situation zu unterrichten“. Die Leitung einer staatlichen Untersuchungskommission soll laut Kreml Premier Dmitri Medwedew übernehmen. Auch die Generalstaatsanwaltschaft will das Unglück prüfen.
Julia Z. hat bei dem Unglück eine Freundin verloren. Der Nachrichtenagentur AP sagte sie, die 33-Jährige sei frisch verheiratet gewesen und habe mit ihrem Mann unbedingt nach Ägypten gewollt. „Ich habe ihr gesagt: ,Warum zur Hölle willst Du nach Ägypten?‘“ Die Eltern der jungen Frau fühlten sich, „als ob ihr eigenes Leben zu Ende ist“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2015)