Türkei: Ein Vorgeschmack auf düstere Zeiten

Das gefährliche Kalkül des so gar nicht überparteilichen Präsidenten Erdogan ist aufgegangen. Ein Präsidialsystem, wie er es will, würde das Land noch mehr spalten.

Man könnte es sich jetzt einfach machen und sagen: Jedes Land, das demokratische Wahlen abhält, hat die Politiker, die es verdient - und zur Tagesordnung übergehen. Aber so einfach ist die Sache im Fall der Türkei nicht.

Dass man das Volk so lange wählen lasst, bis einem das Ergebnis passt, mag von der Optik her unschön sein, ist jedoch auch in der EU kein ganz unbekanntes Phänomen. Man denke etwa an den Vertrag von Lissabon, von dem die Iren auch erst im zweiten Versuch zu überzeugen waren.

Die Welt solle das Wahlergebnis der Türkei bitteschön respektieren, sagte Staatspräsident Erdogan - der beim Buchstabieren des Wortes überparteilich schon seit seinem Amtsantritt gröbste Schwierigkeiten hat. Er braucht sich keine Sorgen machen, die Welt wird das Ergebnis respektieren, schon alleine deshalb, weil die Türkei ein unerlässlicher Partner in der Syrien- und der damit untrennbar zusammenhängen Flüchtlingskrise ist.

Doch die Welt, namentlich die EU, tut auch gut daran, einige Fragen zu stellen. Eine Demokratie erschöpft sich nämlich nicht darin, in gewissen Abständen Wahlen abzuhalten, zu der mehrere Parteien antreten können. Es kommt auch auf das Umfeld an, in dem diese Wahlen stattfinden. Und da liegt in der Türkei derzeit vieles im Argen. Das fängt mit der schamlosen Bevorzugung der regierenden AKP im staatlichen Fernsehen an und hört beim Sturm auf einen regierungskritischen Sender in der Woche vor der Wahl nicht auf, der sich leider nahtlos in das konsequente Vorgehen gegen unliebsame Medien in den letzten Jahren einreiht.

Noch schwerer wiegt, dass Erdogan und die Regierung - hier eine Trennung vorzunehmen würde der Realität Hohn sprechen - den Friedensprozess mit den Kurden auf dem Altar der Macht geopfert haben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die PKK wird nicht nur von der Türkei sondern auch von EU und den USA als Terrororganisation eingestuft, und jeder Staat hat nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht, gegen solche Gruppen vorzugehen.

Dass allerdings die Regierung den Konflikt im Südosten in den vergangenen Monaten nicht nur nicht deeskaliert sondern ihn eher noch angeheizt hat, folgte einem nur zu offensichtlichen Kalkül: Einerseits schaffte der Konflikt ein Klima der Angst und Unsicherheit, in dem sich die AKP als Stabilitätsanker präsentieren konnte, was ihr offenbar auch abgenommen wurde. Andererseits wurden nicht-kurdische Wechselwähler wieder von der quasi-Kurden-Partei HDP entfremdet. Immerhin hat es die AKP nicht geschafft, diese Partei aus dem Parlament zu drängen, denn genau dort gehören die Kurden hin, nicht in den Untergrund.

Worum es der AKP und Erdogan eigentlich und nach wie vor geht, machte Premier Davutoglu noch in der Wahlnacht klar: Ein Präsidialsystem mit umfassenden Vollmachten für den Staatschef. Dann würden freilich wirklich düstere Zeiten für die Türkei anbrechen, denn dass die AKP in einer solchen Konstellation die Medien weniger gängeln würde, die Justiz und die Steuerpolizei weniger instrumentalisieren würde und das Land weniger als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten würde, das wird wohl niemand annehmen.

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