Leichtathletik. Weltverband IAAF folgte der Empfehlung der Welt-Anti-Doping-Agentur und suspendierte russische Athleten vorläufig auf unbestimmte Zeit. Die Türe für Olympia 2016 in Rio bleibt aber offen.
London/Moskau/Lausanne. Nach dem erschreckenden Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur über das systematische Doping-System in der russischen Leichtathletik war der Weltverband IAAF zum Handeln gezwungen. Auf über 300 Seiten hatte die Kommission rund um den Kanadier Dick Pound alle Vorwürfe zusammengefasst und ihre „Empfehlungen“ abgegeben; so wie einst auch bei diversen Vergehen österreichischer Langläufer. Der IAAF unter der Leitung von Präsident Sebastian Coe blieb keine andere Wahl als die Sportgroßmacht Russland „provisorisch“ zu sperren.
Mit sofortiger Wirkung sind alle russischen Athleten von internationalen Events ausgeschlossen. Die genaue Dauer bleibt bis zur weiteren Anhörung offen.
Das 22:1-Urteil des IAAF-Councils, das sich auf Anraten der Presseabteilung Freitagabend per Videokonferenz unterhielt, mag auf den ersten Blick drakonisch anmuten. Viele werteten es als „schwarzer Freitag“ des Sports. Es hinterlässt jedoch einen heuchlerischen Beigeschmack, die Frist soll zeitgerecht vor den Sommerspielen in Rio de Janeiro 2016 enden...
„Geld und Medaillen zurück“
Lord Coe, der erst seit August im Amt ist und durch seine Aussagen zu Vorgänger Lamine Diack, der in Frankreich wegen Erpressung ertappter Dopingsünder angeklagt wird, schwer in die Kritik geraten ist, hatte vorab zwar betont, dass er „die Einbeziehung der Russen im Zweifel für besser hält als ihre Ausgrenzung“, der öffentliche Druck sorgte bei seinen Funktionären jedoch für ein Umdenken. Ob es da auch eine Rolle spielte, dass vorgestern die halbstaatliche russische Bank VTB bekannt gab, dass sie den Sponsorvertrag mit der IAAF 2015 auslaufen lässt?
Ehe diese historische Entscheidung überhaupt getroffen war, hatten sich viele Nation dem Wunsch der Wada bereits angeschlossen. Der Laborchef in Moskau wurde entlassen, fünf Athletinnen und deren Umfeld gesperrt, also blieb nur noch der Ausschluss des russischen Verbandes. Für Travis Tygart, als US-Chefermittler aus den Episoden der Lance-Armstrong-Aufdeckungen bekannt, der einzig logische Schritt. „Russischen Athleten sollte nicht mehr erlaubt werden, auf der großen Bühne zu starten. Denn das, was jetzt herausgekommen ist, verletzt die Rechte aller anderen, sauberen Athleten. Die betroffenen Athleten und ihre Trainer müssen bestraft, Preisgelder sowie Medaillen müssen zurückgegeben werden.“
Doping-Probleme weltweit
Es herrscht dennoch weiterhin ein krasses Ungleichgewicht in der Leichtathletik. Auch in den USA läuft bei jedem Schritt mancher Sprinter eine gehörige Portion Unwohlsein mit. Ein 100-Meter-Star, mehrmals gedopt, läuft elf Jahre nach seinem größten Erfolg angeblich „clean“ schneller als je zuvor. In Jamaika und Kenia (2012: 30 Dopingsperren, 2015: bislang 13) sollen Doping-Kontrollen selten geschehen. Und wenn, so der Vorwurf, zeitgerecht angekündigt. In Ostafrika wird nun als erster Schritt ein neues Wada-Labor eröffnet.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich am Mittwoch noch gegen eine „Kollektivstrafe“ für seine Landsleute stark gemacht. Er forderte eine Untersuchung des Skandals durch einheimische Behörden. Doch Multifunktionär und Sportminister Witali Mutko wird in dem Wada-Report beschuldigt, selbst zentrale Figur des Dopingsystems zu sein: er soll angeordnet haben, „bestimmte Dopingproben zu manipulieren“.
Mutko, er sitzt auch in der Fifa-Exekutive und ist Chef der WM 2018, nannte die Vorwürfe „lächerlich“. Am Freitag kündigte er kleinlaut an, dass Russland „wirksamere Schritte im Anti-Doping-Kampf“ setzen werde. Zu spät, um die Sperre abzuwenden. Russlands Sport muss nun umdenken – und intern „aufräumen“. (fin)