Das große Fressen und das schlechte Gewissen dabei

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Früher hat sich das schlechte Gewissen beim großen Weihnachtsessen auf die Gesundheit oder die Kalorien beschränkt. Heute kommt die Ethik in Hinblick auf Tierschutz und Umwelt dazu.

Es ist ein bisschen kompliziert geworden. Früher, da war alles klar: Zu Weihnachten wird gegessen – und zwar besonders viel und besonders gut. Die Tische durften sich angesichts der festlichen Speisen biegen, das bisschen Sündigen war erlaubt. Denn das gute Gewissen war allein deshalb da, weil man sich endlich Zeit für die Familie nahm.

Heute aber ist das Ganze nicht mehr so einfach. Denn abgesehen von Allergien, Unverträglichkeiten und gewissen Vorlieben kommt heute zum Essen die Moral dazu: Darf man Tiere essen und wenn ja, wurde das Tier gut genug gehalten? Wurde bei der Lebensmittelproduktion auf die Umwelt und den Klimaschutz geachtet? Und wie sieht es mit der Gesundheit aus? Ist es nicht unverantwortlich, so viel Zucker, Fett, ganz zu schweigen vom bösen Weizen zu essen?

Keine Selbstverständlichkeit

„Wir haben die Selbstverständlichkeit verloren“, sagt der Theologe und Ethikprofessor Kurt Remele (siehe unten). Er meint damit nicht nur die Selbstverständlichkeit, mit der wir Tiere essen, sondern jene, mit der wir ganz generell essen. Natürlich kann man nach wie vor bedenkenlos essen und einkaufen. Aber irgendwie ist der gesellschaftliche Druck, bei der Ernährung alles richtig zu machen, gewachsen.

Und je mehr wir alles richtig machen wollen, desto schwieriger wird es. Je näher man sich die Gepflogenheiten der Lebensmittelproduktion – allen voran der Fleischproduktion – ansieht, desto eher mag man verstehen, warum es manche lieber nicht so genau wissen wollen. Auch wenn es die kleinen, feinen Betriebe gibt, die so arbeiten, wie wir uns das vorstellen und wie es unserem Gewissen gefällt – sie bleiben Ausnahmen.

Wie komplex die Sache ist, wird vor allem bei der Fleischproduktion deutlich – auch im Bio-Bereich. Denn natürlich ist Bio-Fleisch besser für das gute Gewissen. Die Tiere haben mehr Platz und Auslauf, werden mit (gentechnikfreiem) Bio-Futter gefüttert und haben auch mehr Zeit zum Wachsen, sprich Leben. Gegen Ende dieses Lebens ist es aber aus mit der Besserstellung der Bio-Tiere.

„Die Bio-Verordnung endet, sobald das Tier die Stalltür verlässt“, sagt dazu Nicholas Fürschuss von Bio Austria. Denn bei Transport und Schlachtungen gelten dieselben Bestimmungen wie im konventionellen Bereich. Masttiere aus Bio-Betrieben werden in der Regel gemeinsam mit Tieren aus konventioneller Haltung in einem Schlachthof geschlachtet. Wie „gut“ der arbeitet, kann der Konsument in den seltesten Fällen nachvollziehen. Es gibt zwar Bio-Betriebe, die auch selbst schlachten, aber auch sie sind Ausnahmen. „Es ist ein wunder Punkt für uns, dass es hier keine gesonderten Regeln für den Bio-Bereich gibt“, sagt Fürschuss. Dabei geht es nicht nur um ethische Aspekte. Die ganze Arbeit, die man in die schonende Aufzucht und Haltung eines Tieres gesteckt hat, kann durch den Stress, den das Tier im Schlachthof erlebt, weil es mit anderen, ihm fremden Tieren durch enge Gänge getrieben und in einer Gondel mit CO2 betäubt wird, dahin sein. Dieser Stress macht sich mittels Stresshormonen in der Qualität und Haltbarkeit des Fleisches bemerkbar. In Extremfällen kann es gar sein, dass ein Bio-Tier, das den Großteil seines Lebens auf der Weide verbracht hat und weniger Kontakt zu Menschen hatte, die Situation als noch stressiger empfindet als ein Tier aus konventioneller Haltung, das etwa Transport und Enge gewohnt ist.

Dunkle Seiten der Fleischproduktion

Fürschuss glaubt nicht, dass sich die Bedingungen bei den Schlachtungen für den Bio-Bereich bald bessern werden. „Das ist ein heikles Thema und sehr schwer durchzusetzen. Projekte, wie der fahrende Schlachthof, wurden von der Fleisch- und Tierärztelobby massiv blockiert.“ Er kritisiert auch, dass viele Mitarbeiter in Schlachthöfen schlecht und pro geschlachtetem Tier bezahlt werden. Wer so entlohnt wird, will natürlich möglichst viele Tiere möglichst schnell schlachten.

Auch sonst gibt es in der (konventionellen) Fleischproduktion einige Gepflogenheiten, die sich nur schwer mit dem guten Gewissen der Konsumenten vereinbaren lassen. Der Einsatz von Antibiotika etwa oder Eingriffe wie die Kastration und das Kupieren von Schwänzen bei Schweinen oder die Enthornung bei Rindern. So ist etwa im konventionellen Bereich eine betäubungslose Entfernung der Hörner innerhalb der ersten 14 Lebenstage eines Rindes erlaubt. Seit 2011 ist das zumindest im Bio-Bereich verboten. Bei der Kastration von Schweinen – die vorgenommen wird, um den Eber-Geruch zu vermeiden – gibt es zumindest eine Selbstverpflichtung der Betriebe, Schmerzmittel einzusetzen (die allerdings vorwiegend den Schmerz, der nach der Kastration einsetzt, stillen).

„Österreich stellt sich gern als Land dar mit dem besten Tierschutzgesetz, das stimmt aber nur in Teilbereichen“, sagt Christoph Winckler, Nutztierwissenschaftler an der Boku Wien. Für ihn sind einige der gesetzlichen Mindestanforderungen, allen voran jene in der Schweinehaltung, nicht tiergerecht.

Handel setzt Standards

Um das zu ändern, sei natürlich auch die Politik gefordert. Viel mehr Einfluss habe seiner Meinung nach aber der Lebensmitteleinzelhandel. „Veränderungen werden über den Handel kommen und nicht aus der gesetzlichen Mindestanforderung“, so Winckler. Wenn also eine große Handelskette bestimmte Anforderungen an die Hersteller stellt, setzt sie dadurch neue Standards. Und hinter diesen Anforderungen wiederum stecken bestimmte Erwartungen vonseiten der Verbraucher. Ein gutes Beispiel dafür ist etwa die Branchenlösung für Bio-Eier, bei der männliche Küken nicht gleich nach dem Schlüpfen getötet werden, sondern dank der neuen Hybridrasse Sandy zu Masthühnern herangezogen werden können.

Ähnlich verhält es sich mit Standards bezüglich des Umweltschutzes. Wenn sich zum Beispiel Produkte, die mit möglichst kurzen Transportwegen werben, gut verkaufen, wird der Handel verstärkt darauf setzen. Es führt also nichts am Konsumenten vorbei. Denn der muss schlussendlich darüber entscheiden, ob er bereit ist, für mehr Tier- und Umweltschutz mehr zu bezahlen. Vor dem großen Fressen kommt heute also nicht nur die Moral, sondern auch der Preis.

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Der ethische Einkaufsführer
Fleischproduzenten findet man hier zwar nicht, wer auf der Suche nach fairen, ökologischen und veganen Einkaufsadressen ist, wird im neuen „ethischen Einkaufsführer“ von Animalfair fündig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

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