Thomas Brezina: "Zweifel braucht keiner zu merken"

Thomas Brezina über seine Kindheit im Baumhaus, seine Sehnsucht nach einem sprechenden Fahrrad, Fehler in der Erziehung und sein Leben in London.

Thomas Brezina schreibt sein erstes Buch für Erwachsene, einen Krimi. Er hat neue Sagenbücher herausgebracht. Im Interview erzählt er von seinen Eltern, wie für ihn die ideale Kindererziehung aussieht und er stellt sein Musikprojekt vor: eine tönende Geschichte des Universums. "Ich war ein dickliches Kind und bin verspottet worden." Die Flucht vor der rauen Wirklichkeit in die Fantasie hat sich für den Hietzinger Arztsohn Thomas Brezina gelohnt. Das Universum des 52-Jährigen, der heute die meiste Zeit in London lebt, umfasst unter anderem die seit 22 Jahren laufende Tom-Turbo-Krimi-Reihe oder den Forscherexpress im Fernsehen, Kinofilme wie "Die Knickerbocker-Bande" oder 550 Bücher, die in 35 Sprachen übersetzt sind und sich vor allem in China großer Beliebtheit erfreuen. "Ich glaube nicht wahnsinnig an Glück, ich glaube an Umstände, die man nutzen muss", sagt Brezina im Interview.

Was ist in dem schwarzen Koffer?

Mein Tagebuch.


Sie schreiben Tagebuch? Mit der Hand?

Mit der Füllfeder. Ich habe einen ganzen Tresor dieser Moleskine-Bücher. Ich schreibe auf, was mir durch den Kopf geht, wenn ich mir Mut zusprechen oder Probleme lösen muss.


Das heißt, Sie sind nicht immer gut drauf.

Jeder Künstler hat Zweifel, die braucht aber keiner zu merken. Zweifel sind der Wegweiser zur Qualität. Sie bedeuten, dass man sein Tun hinterfragt, auf seine Intuition hört. Wenn ich um vier Uhr morgens aufwache, fällt mir ein, wo der Fehler ist bei dem, was ich gerade mache. Um diese Zeit beginnt das Gehirn zu arbeiten.


Sie beschäftigen sich mit asiatischen Lehren. Was zieht Sie an?

Ich mache jeden Morgen 22 Mal das Sonnengebet. Wenn man asiatische Philosophien betrachtet, ist da immer etwas Konstruktives und Positives. Es hat immer mit dem Fließen von Energien zu tun und ist im Diesseits verankert. Das halte ich für sehr wichtig.


Sie haben viele Leser in China. Warum?

Ich bin einer der drei meistübersetzten Autoren in China, und zwar in allen Genres. Ich glaube, meine Bücher sind zu einer Zeit erschienen, wo chinesische Kinder sich erstmals emanzipiert und ihre Eigenständigkeit entdeckt haben. Sie erleben Abenteuer in einer Welt, in der Erwachsene nur eine Nebenrolle spielen. Die Kinder können mitraten und mitmachen, auch die Eltern haben das toll gefunden.


Heute hat man oft das Gefühl, dass Bildung, Schule bei uns ein Riesenproblem ist. Ständig wird an der Erziehung "herumgedoktert".

Kinder sind heute sehr gefordert, zum Teil überfordert. Einerseits stürzen zu viele Reize auf sie ein, sie müssen die Schule bewältigen und dann noch drei Sachen am Nachmittag machen. Andererseits sind sie viel alleingelassen, was ich noch schrecklicher finde. Mein Plädoyer ist: Lasst Kinder spielen, gebt ihnen mehr Freiraum, glaubt nicht, dass sie ununterbrochen unterrichtet und ausgebildet werden müssen. Sie müssen die Möglichkeit haben, die Welt zu entdecken und Freude zu erleben, zum Beispiel an etwas selbst Entdecktem und selbst Gemachtem. Ich bin nicht gegen Handys oder Computer. Kinder kennen sich heute mit Multitasking aus, sie können drei Sachen gleichzeitig machen, sie sind viel schneller. Aber es sollte noch etwas anderes geben als Medien und Elektronik.


Wie war Ihre Kindheit?

Ich hatte großartige Eltern, mein Vater war Radiologe, meine Mutter Musikpädagogin. Meine Eltern haben meine künstlerischen Interessen immer unterstützt. Ich bin absolut behütet aufgewachsen, gemeinsam mit meinem Bruder. Ich war ein guter Schüler, habe mit Auszeichnung maturiert. Aber ich war ein dickliches Kind, ich bin verspottet worden. Das habe ich nicht vergessen.


Wie haben Sie sich getröstet?

Ich habe mich zurückgezogen. Ich war eher ein Einzelgänger. Ich habe nie Fußball gespielt und war auch nie Anführer einer Clique. Ich habe Puppentheater gebaut und mir Geschichten ausgedacht. Ich habe stapelweise Bücher gelesen und bin gern in meinem Baumhaus gesessen. Mein Vater war ein sehr kunstbeflissener Mensch, er hat mich von klein auf in Ausstellungen mitgenommen. Er hat mich nicht belehrt, sondern versucht, mich zu faszinieren. Das ist ein wichtiges Prinzip, das ich auch in meinen Sendungen und Büchern vermittle. Man darf den Kindern nicht das Gefühl geben, ich stehe jetzt als Erwachsener über dir, schaue auf dich herunter und erkläre dir, dir kleinem Depp, wie die Welt ausschaut.


Sie leben seit 20 Jahren in London. Was inspiriert Sie dort?

London ist mein kreativer Rückzugsort und heute auch mein Lebensmittelpunkt. Ich bin aber insgesamt nach wie vor vier Monate pro Jahr in Wien. In London wohne ich mitten in der Stadt, ich gehe an der Themse spazieren, habe eine Wohnung in Brighton. Ich muss ständig neue Dinge lernen, mir was anschauen und "nachladen", das kann ich am besten in London.


Ihre neuesten Bücher sind österreichische Sagen, verpackt in eine Rahmenhandlung mit einem Sagenschiff, das Kinder auf eine Reise zu den Geschichten mitnimmt. Die alten Sagen sind heute durch den großen Fantasy-Bereich ins Hintertreffen geraten. Wollten Sie diesen Bereich wiederbeleben?

Zwei Bände sind erschienen, drei weitere kommen noch. Der Servus-Verlag macht sehr österreichische Bücher. Ich habe mich an die Arbeit gemacht und viel recherchiert für eine Serie mit Büchern österreichischer Sagen, die Kindern einen zeitgemäßen Zugang zu den Geschichten eröffnen. Zum Beispiel "Der Basilisk", der ist ja besonders beliebt, warum? Ich habe mich auf die Liebesgeschichte konzentriert: Bäckergeselle Hans, der des Bäckers Tochter liebt, sie aber nicht bekommt, steigt in den Brunnen. Er hat große Angst vor dem Basilisken, es ist ihm übel von dessen Gestank, aber er zögert nicht, hält dem Vieh den Spiegel vor und es zerplatzt. David triumphiert über Goliath, das Böse wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen.


Was war Ihre Lieblingssage als Kind?

Schwer zu sagen. Ich habe mich sehr vor dem Donauweibchen gefürchtet, das seine Opfer in die Tiefe zieht und ihre Seelen in umgedrehten Tontöpfen bannt.


Glauben Sie an Mächte außerhalb unserer Wirklichkeit?

Ich glaube, dass es sehr viel gute und schlechte geistige Energien um uns herum gibt. Unsere Aufgabe ist es, positive Energie in die Welt hinauszusenden. Jeder muss achtsam sein und schauen, was er ausstrahlt. Ich habe gelesen, dass wir so negativ gepolt sind, hat seinen Grund in der Evolution. Eine lange Zeit in der Geschichte des Menschen lauerte hinter jeder Ecke Gefahr. Heute ist das nicht mehr so. Wir können vieles Positive sehen und das sollten wir versuchen.
Es gibt sehr viele Kriege auf der Welt. Allerdings sind manche Menschen auch übellaunig, wenn in ihrem Leben alles in Ordnung ist.
Ich will nicht generalisieren. Es ist eine Sache der Haltung. Meine Mutter ist dieses Jahr mit 91 Jahren gestorben. Sie hatte eine Haushälterin, die sich liebevoll um sie gekümmert hat, sie hat sich aber immer selbst versorgt, so gut es ging. Im Supermarkt ist meine Mutter allein einkaufen gegangen, die Haushälterin durfte ihr nur helfen, wenn Artikel zu hoch oben waren. Meine Mutter hatte sicher Schmerzen in den Knien, sie wollte sich nicht operieren lassen. Als Arztfrau war sie skeptisch gegenüber Ärzten. Wenn ich meine Mutter angerufen habe und gefragt habe, wie es ihr geht, hat sie immer gesagt: Ich bin zufrieden. Weißt du, ich wache in der Früh auf und denke mir, wie schön es ist, dass ich aufwache.


Aber manchmal muss man sich ausraunzen, das tut gut.

Das verbiete ich mir. Naja, Sie haben schon recht. Man braucht das von Zeit und Zeit. Aber dann muss es einen Punkt geben, an dem man einfach sagen muss: Aus! Die beste Freundin meiner Mutter, Liesel, sie war 97 Jahre alt, hat mir mal erzählt, ihre Mutter hat zu ihr gesagt: Du musst mehr lächeln. Wenn man lächelt, geht es einem gleich besser.


Waren Sie mit Neid konfrontiert? Wie haben Sie das verdaut?

Neid gehört zum Leben, der kommt wie das Amen im Gebet. Die Kritiken in der Anfangszeit für meine Bücher waren sehr heftig. Das hat mich schon etwas gekränkt. Heute sage ich mir: Gut, dass ich meinen Weg weiter gegangen bin. Trotzdem bin ich ein sensiblerer Mensch, als man mir von außen ansieht. Ich habe gelernt, mich zu schützen. Ich lebe zurückgezogen und schaue, dass ich mich auf das Wesentliche konzentriere.


Was ist derzeit das Wesentliche?

Wir machen die Serie ABC-Bär auf Englisch. Das kommt 2016 heraus. Ich liebe es, Kinder ganz genau zu beobachten. Derzeit mache ich das im Hinblick auf die Frage: Wie lernen kleine Kinder eine Sprache, und wie kann man sie dafür interessieren? 2017 kommt ein Musikstück heraus: die Geschichte des Universums und der Menschheit, seit dem Urknall, erzählt in 40 Minuten. Ich liefere die Bilder. Außerdem schreibe ich mein erstes Buch für Erwachsene, einen Krimi.

Wer waren Ihre Helden als Kind?

Pippi Langstrumpf, Kalle Blomquist und besonders Karlsson vom Dach, den habe ich geliebt auch Wickie und die starken Männer.


Haben Ihre vielfältigen Aktivitäten Sie reich gemacht?

Ich kann mich nicht beschweren. Ich bin in der glücklichen Lage, mit dem, was ich gerne mache, Erfolg zu haben. Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Tu, was du wirklich tun willst, alles andere kommt von selbst. Er wollte unbedingt Radiologe werden. Er hat keinen Posten im Krankenhaus bekommen. Meine Mutter hat ihn fünf Jahre lang erhalten mit dem Geld, das sie als Lehrerin verdiente. Letztlich hat er es geschafft und seine Ordination eröffnet. Man darf nichts hinterherrennen, schon gar nicht Geld. Die Leidenschaft ist die Hauptsache.


Erfolg ist auch Glücksache. Sie sind mit Ihren Sendungen in einer Zeit gestartet, als Kinderfernsehen aus Betthupferl und Kasperl bestand.

Ich glaube nicht wahnsinnig an Glück. Ich glaube daran, dass man die Umstände nutzen muss. Viele Menschen haben Glück und merken es nicht, weil sie nicht zupacken.


Wofür geben Sie gern Geld aus?

Früher bin ich viel gereist, am meisten hat mich Hawaii fasziniert. Heute lebe und wohne ich gern.


Eine Ihrer von Kindern am meisten geliebten Erfindungen ist Tom Turbo. Ein lebendes Fahrrad mit Glupschaugen, das bei der Aufklärung von Verbrechen hilft. Wie sind Sie auf diese Figur gekommen, und warum ist sie so ein Renner?

Tom Turbo ist einer der ungewöhnlichsten und großartigsten Freunde, die man sich nur wünschen kann. Als Kind bin ich begeistert Fahrrad gefahren. Wir hatten ein Wochenendhaus in Niederösterreich. Ich habe mir vorgestellt, mein Fahrrad kann sprechen, und habe Walkie-Talkies darauf montiert und eine Kiste, in der alles Mögliche drin war. Das Fahrrad war meine erste große Freiheit. Tom Turbo hat eine sehr technische Welt und ein technisches Erleben, er steht für Abenteuer, trotzdem ist er auch ein Begleiter und bietet Schutz. Ich habe damals, vor 22 Jahren, Robert Rottensteiner der auch jetzt meine Sagenbücher illustriert hat beschrieben, wie Tom Turbo aussieht. Wir haben einen ganzen Sommer lang daran gearbeitet, haben allerlei Ideen gewälzt und diese Figur entwickelt.

Tipp

Thomas Brezina: Sagenschiff Band I (Drachen & Ungeheuer) und II (Ritterschatz & Wunderschloss), Servus-Verlag. Brezina liest die Hörbücher dazu.

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