In Syrien sollten die Erzrivalen Saudiarabien und Iran kooperieren. Nun muss das Duo Kerry/Lawrow ausrücken, um den Flächenbrand zu ersticken.
Ein US-Außenminister ist nie einfach nur auf Urlaub. Er muss jederzeit gewahr sein, dass ihn ein nächtlicher Anruf aus dem Schlaf reißen könnte, wenn sich irgendwo in der Welt – im Nahen und Mittleren Osten – ein Albtraumszenario entfaltet. Davon könnte Henry Kissinger oder Hillary Clinton ein Lied singen – und John Kerry, Washingtons umtriebiger Krisenfeuerwehrmann zwischen Kairo, Jerusalem, Amman, Riad, Kabul und Islamabad.
Statt sich also in Idaho in den Rocky Mountains die Pisten hinunterzustürzen, um sich von den Marathonverhandlungen – den Atomgesprächen und den Syrien-Sondierungen in Wien – zu entspannen, klemmte sich Kerry ans Telefon. Angesichts der Eskalation zwischen den beiden Regionalmächten am Persischen Golf rief er die Außenminister Saudiarabiens und des Iran zur Räson, denn ein Konflikt zwischen den Erzfeinden zählt gewiss zu den Horrorszenarien im State Department. Kalmieren konnte er die Situation, die das Potenzial birgt, das Pulverfass in der Region in die Luft zu jagen, indes vorerst nicht.
Doch zu beiden Spitzendiplomaten hat Kerry einen guten Draht, zumal sowohl Irans Mohammed Javad Zarif als auch Saudiarabiens Adel al-Jubair in den USA studiert haben und als Botschafter in Washington und New York akkreditiert waren. Wobei Jubair zwiespältige Erinnerungen an seine Botschafterzeit in den USA hat. Im Oktober 2011 deckte das FBI nämlich ein Komplott iranischer Agenten auf, die im Edelrestaurant Milano in Georgetown ein Attentat auf Jubair verüben wollten.
Dass sie vor Terroraktionen nicht zurückschrecken, um dem Gegner zu schaden, sagt viel über die Rivalität zwischen Riad und Teheran und ihr Ringen um die Vorherrschaft aus. Die Saudis sind zudem bitter enttäuscht über ihre US-Verbündeten. Während des Arabischen Frühlings hatten sie im Namen der Demokratisierung zuerst Potentaten wie Ägyptens Hosni Mubarak fallen gelassen, um danach eine Annäherung an den Iran zu forcieren. Neben Israel hat in Washington niemand so heftig gegen einen Atomdeal Stimmung gemacht wie das saudische Königshaus. Um die Kritiker in Riad zu besänftigen, erwies nach dem Tod König Abdullahs vor einem Jahr Präsident Barack Obama höchstpersönlich dem neuen saudischen Monarchen, Salman, seine Reverenz, und nach dem Atompakt von Wien im Juli schickte er John Kerry vor.
Der Stellvertreterkrieg im Jemen befeuerte derweil die Spannungen zwischen den sunnitischen Hütern der heiligen Stätten von Mekka und Medina und dem schiitischen Gottesstaat. Seit dem Thronwechsel in Riad verfolgt die Saud-Dynastie unter der Ägide des ehrgeizigen Verteidigungsministers und Vizekronprinzen, Mohammed bin Salman, eine aggressivere Außenpolitik – freilich mit geringem Erfolg. Seine Antiterrorallianz entpuppte sich als PR-Trick. Und als der kranke König Salman neulich zu einer Grundsatzrede über die vielfältigen Herausforderungen des Königsreichs – vom Verfall des Ölpreises bis zum IS-Terror – ansetzte, war sie in zwei Minuten vorbei, ohne auch nur eine Antwort zu liefern.
In Washington und anderen westlichen Hauptstädten knüpfte sich an den Atomdeal die Hoffnung, den Iran an der Seite Saudiarabiens konstruktiv in eine diplomatische Lösung im Syrien-Krieg einzubinden. Beiden Ländern sollte eine geopolitische Schlüsselrolle zufallen, und die Einigung der Außenminister in Wien auf einen Fahrplan und ein Treffen der syrischen Oppositionsgruppen in Riad nährten den Zweckoptimismus. Dass die Saudis jetzt bewusst auf Konfrontationskurs zum Iran gegangen waren, weckte die schlimmsten Ängste im Westen. Währenddessen mühen sich im Iran die moderaten Kräfte um Präsident Rohani, die Hardliner an die Leine zu nehmen.
Die angespannte Lage samt den politischen, religiösen und ökonomischen Implikationen über die nahöstliche Kriegszone hinaus droht indessen völlig außer Kontrolle zu geraten. Die Lunte brennt, und für John Kerry und seinen russischen Widerpart, Sergej Lawrow, ist es höchste Zeit, um zum Löschkommando nach Riad und Teheran auszurücken.
E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2016)