Der 1400-jährige Kampf um Mohammeds Erbe

Saudiarabien und der Iran, die selbst ernannten Schutzmächte der Sunniten und Schiiten, instrumentalisieren wieder einen alten Glaubensstreit.
Saudiarabien und der Iran, die selbst ernannten Schutzmächte der Sunniten und Schiiten, instrumentalisieren wieder einen alten Glaubensstreit.(c) REUTERS (THAIER AL-SUDANI)
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Saudiarabien und der Iran instrumentalisieren einen alten Glaubensstreit. Fünf Fragen und Antworten zum Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten.

Wien. Im jüngsten Machtkampf zwischen Saudiarabien und dem Iran wird sie wieder instrumentalisiert: die große Spaltung des Islam in Schiiten und Sunniten, die bis an die Anfänge zurückreicht.

Wie hat die Spaltung des Islam in Schiiten und Sunniten begonnen?

Am Anfang steht Mohammeds Tod 632. Ein Machtkampf um die Nachfolge des Propheten entbrennt. Dieser frühislamische Konflikt endet zunächst mit der Niederlage jener Minderheit, die auf einen Blutsverwandten Mohammeds als Nachfolger besteht, konkret auf dessen Cousin und Schwiegersohn Ali ibn Abi Talib. Die Shi'at Ali, die Partei Alis, ist in der Welt. Die Mehrheit, später als Sunniten bezeichnet, befindet dagegen, es genüge, wenn der Nachfolger aus Mohammeds Stamm kommt und erwählt den Schwiegervater des Propheten, Abdallah Abu Bakr, zum ersten Kalifen. Die Schiiten werden weder Abdallah Abu Bakr noch seine beiden ermordeten Nachfolger anerkennen, sondern sie als Usurpatoren geißeln. Der vierte Kalif (nach schiitischer Lehre: der erste Imam) wird 656 schließlich jener zunächst übergangene Ali. Als er 661 ermordet wird, fällt die Macht seinen Söhnen zu. Doch längst hat sich in Syrien ein Gegenkalifat gebildet, aus der aufsteigenden Dynastie der Umayyaden.

Welche Rolle spielte die Schlacht von Kerbala?

Die Schlacht im Jahr 680 treibt jenen letzten Keil in die Umma, die muslimische Glaubensgemeinschaft, der sie bis heute spaltet. Im zentralirakischen Kerbala werden Imam Husain, also Alis Sohn und Mohammeds Enkel, sowie seine Getreuen von einer militärischen Übermacht der Umayyaden-Dynastie brutal niedergemetzelt. In diesen welthistorischen Stunden fällt also die Entscheidung zugunsten der Sunniten, genauer der Umayyaden, deren islamisches Expansionsprojekt bald bis nach Spanien ausgreift. Noch mehr prägt diese Schlacht aber die Schiiten, die nun – unterlegen – das Leiden und das Märtyrertum in den Mittelpunkt ihrer Religion rücken, was im jährlichen Aschura-Tag, der höchsten Feierlichkeit der Schiiten, gipfelt: An diesem Tag gedenken Schiiten des Märtyrers Husain. Sie pilgern an heilige Stätten, etwa in Kerbala. und üben sich in archaisch anmutenden Selbstgeißelungen. Auch wegen dieses Märtyrerkults werden Schiiten von konservativen Sunniten mitunter als Ketzer verschmäht.

3 Worin liegen die großen Unterschiede zwischen den beiden Glaubensrichtungen?

Zunächst: Weder die schiitische noch die sunnitische Glaubensgemeinschaft sind monolithische Blöcke, sondern kennen zahlreiche Ausformungen. Im sunnitischen Islam etwa gibt es vier (sich gegenseitig anerkennende) Rechtsschulen. Die schiitische Glaubensgemeinschaft zerfiel in zahlreiche Splittergruppen und Sekten, darunter etwa die Gruppe der Alawiten, der auch der Assad-Clan in Syrien angehört. Die Schiiten grenzen sich von den Sunniten etwa durch ihre Vorstellung des Imamats ab. Die große Mehrheit gehört dabei der Zwölfer-Schia an, wie sie im Iran Staatsreligion ist: Demnach gab es zwölf Imame – von Mohammeds Schwiegersohn Ali bis zum 869 geborenen Muhammad ibn Hasan al-Mahdi. Dieser zwölfte Imam sei nie gestorben, sondern erteile aus dem Verborgenen Weisungen und werde in der Endzeit als „Herrscher der Welt“ zurückkehren: Ein Erlösergedanke, wie ihn in Abwandlung auch das Christentum kennt.

Hinzu kommt, dass der Klerus bei den Schiiten eine strengere Hierarchie  als bei den Sunniten aufweist und für die Schiiten neben Mekka und Medina noch weitere Wallfahrtsorte exisitieren - Stichwort Märtyrer- und Heiligenverehrung. Und mit Blick auf den Koran verstummte über die Jahrhunderte nie der Vorwurf der Schiiten, ihre Gegner hätten aus der Heiligen Schrift des Islam Passagen getilgt, in denen Mohammed Ali als seinen Nachfolger benannt habe.

Wie groß sind die Gruppen der Schiiten und der Sunniten?

Wie in den Anfängen, nach Mohammeds Tod, stellen auch heute die Sunniten innerhalb des Islam die Mehrheit: Etwa 85 bis 90 Prozent der weltweit 1,6 Milliarden Muslime sind Sunniten. Nur in Aserbaidschan, im Iran, dem Irak, im Libanon sowie in Bahrain sind Schiiten in der Überzahl, wobei in Bahrains Golfmonarchie ein sunnitisches, eng mit Saudiarabien verbündetes Königshaus über die Mehrheit der Schiiten herrscht. Im Oman stellt übrigens eine islamische Glaubensgemeinschaft die Mehrheit, die keiner der beiden Hauptströmungen angehört: die Ibaditen.

Wie wirkt dieser Glaubenskampf zwischen Schiiten und Sunniten heute?

Saudiarabien, Hüter der heiligen Stätten in Mekka und Medina, geriert sich als Schutzmacht der Sunniten. Wie Katar erhob auch Riad den erzkonservativen antischiitischen Wahhabismus zur Staatsreligion. Seit der Revolution 1979 befeuert auf der anderen Seite der Iran den politischen Islam schiitischer Prägung. Hinzu kommt, dass sunnitische Terrororganisationen wie der Islamische Staat auch Schiiten als Ungläubige verfolgen, zumal sie deren Milizen, etwa in Syrien und dem Irak, an den Fronten gegenüberstehen.

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(Jürgen Streihammer/APA)

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