VW-Konzernchef Matthias Müller kämpft um Ruf und Zukunft des ramponierten Autokonzerns auf dem amerikanischen Markt. Die Probleme begannen schon vor dem Skandal.
Washington. Also sprach Matthias Müller: „Die USA sind und bleiben ein Kernmarkt für die Volkswagengruppe.“ Noch vor wenigen Monaten hätte man diese Bekundung eines Volkswagen-Konzernchefs als belanglose Floskel abgetan. Der Wolfsburger Autohersteller investierte seit Jahren Milliarden in die Erschließung des wichtigsten Automobilmarktes der Welt, hatte zu Jahresbeginn 2015 mehr als 650 Händler unter Vertrag und plante, bis zum Jahr 2018 landesweit rund 100 weitere Verkaufsstellen zu eröffnen. In besagtem Jahr wollte Volkswagen 800.000 Autos in den USA verkaufen: Das wäre ein Marktanteil von rund fünf Prozent.
Doch schon vor der Enthüllung der systematischen Manipulation von Abgaskontrollen in allen neueren VW-Dieselmodellen weltweit war der Wolfsburger Konzern in den Vereinigten Staaten in einer schweren Lage. Zwei Jahre in Folge waren die Verkaufszahlen gesunken, während der amerikanische Automobilmarkt an sich dank einer erholten Volkswirtschaft, sinkender Arbeitslosigkeit und vor allem sehr billiger Treibstoffpreise florierte. „25 bis 30 Prozent unserer Händler haben je nach Monat Mühe, gewinnträchtig zu sein“, sagte Alan Brown, der Vorsitzende der Vereinigung von Volkswagenhändlern, im Dezember 2014 zum Fachmedium „Automotive News“.
Verzweifelte Rabattschlacht
Der Abgasskandal hat die Lage der amerikanischen VW-Händler noch weiter verschärft. Auf ihren Parkplätzen harren große Mengen von nun unverkäuflichen Dieselmodellen der Rücknahme durch den Hersteller; rund 600.000 in den USA verkaufte Dieselmodelle sind mit jenem Computerchip ausgestattet, der die strengen US-Abgaskontrollen umgeht.
Die Händler versuchen folglich, mit großen Rabatten auch für Benzinmodelle neue Kundschaft in ihre Lokale zu locken. Eine formlose Anfrage des „Presse“-Korrespondenten nach einem VW Passat auf der Preisvergleichs-Website edmunds.com brachte Mitte Dezember binnen fünf Minuten Telefonanrufe von drei Volkswagenhändlern aus dem Großraum Washington. Rabatte von mehr als 4000 Dollar (3700 Euro) drücken den Preis solcher VW-Modelle vor Steuern und Abgaben um fast ein Fünftel.
Wie die manipulative Software, die zum vierzigmal höheren Ausstoß von Schadstoffen führt, behoben wird und was das letztlich kostet, ist noch offen. Zu Jahresbeginn hat das US-Justizministerium ein Verfahren gegen Volkswagen eröffnet; die Staatsanwaltschaft beschuldigt den Konzern, die Ermittlungen von Aufsichtsbehörden behindert und irreführende Informationen übermittelt zu haben. Ein Strafverfahren droht Volkswagen in den USA zwar derzeit nicht, doch es winken Schadenersatzzahlungen und eine Geldbuße von bis zu 19 Milliarden Dollar.
EX-FBI-Chef soll vermitteln
Ein ehemaliger Leiter des FBI soll im Abgasskandal zwischen VW und Hunderten Klägern in den USA als eine Art Schlichter vermitteln. Der kalifornische Bezirksrichter Charles Breyer erklärte am Montag, er wolle Ex-FBI-Direktor Robert S. Mueller mit der Aufgabe betrauen, in mehr als 500 eingereichten Klagen eine Einigung herbeizuführen. Der frühere Chef der US-Bundespolizei werde „in diesen komplexen Angelegenheiten“ dank seiner Erfahrung und seines Urteilsvermögens die Vergleichsdiskussionen zwischen den diversen Parteien erleichtern. Richter Breyer gab den Anwälten aller Beteiligten bis 15. Januar Zeit, potenzielle Einwände gegen Muellers Ernennung vorzubringen.
Doch VWs Grundsatzproblem auf dem US-Markt ist von der Abgasaffäre losgelöst. Die Marke ist gewissermaßen zwischen allen Segmenten verloren: Wer ein preiswertes, kleineres Auto für die Stadt sucht, wird bei den japanischen Herstellern fündig. Liebhaber von Luxusmarken europäischen Zuschnitts kaufen BMW, Mercedes oder Audi. Und auf dem stärksten Markt, jenem für Trucks und SUVs, ist VW nur mit dem Tiguan vertreten. Und der ist ein Ladenhüter. Der VW-Absatz sank im Vorjahr um fünf Prozent 349.000 Autos. Das ergibt zwei Prozent Marktanteil.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2016)