Obama: "IS keine existenzielle Bedrohung für USA"

US-Präsident Obama bei seiner letzten Rede zur Lage der nation.
US-Präsident Obama bei seiner letzten Rede zur Lage der nation.Reuters (Evan Vucci)
  • Drucken

In seiner letzten Rede zur Lage der Nation verteidigt der US-Präsident seine zurückhaltende Außenpolitik und kritisiert indirekt die antimoslemischen Angriffe von Donald Trump und Ted Cruz.

Die achte und letzte Rede zur Lage der Nation von US-Präsident Barack Obama war erwartungsgemäß frei von ehrgeizigen Ankündigungen und politischen Vorhabensbekundungen. Obamas Amtszeit endet in fast auf den Tag genau einem Jahr, beide Kammern des Kongresses werden von republikanischen Mehrheiten kontrolliert, die parteiübergreifende Gesetzesvorhaben verunmöglichen, und eine Mehrheit der öffentlichen Meinung hatte Obama laut Gallup-Umfrage letztmals Ende Juni 2013 auf seiner Seite.

So geriet die knapp einstündige Ansprache des Präsidenten vor dem versammelten Kongress sowie den Mitgliedern seines Regierungskabinetts, des Obersten Gerichtshofes, Spitzen der Streitkräfte und eingeladenen Gästen zu einer Verteidigung seiner politischen Doktrin, die sich auf den Kern reduzieren lässt, dass Amerika seine enormes wirtschaftliches und zivilisatorisches Potenzial am ehesten dann erreicht, wenn es sich aus unlösbaren internationalen Konflikten heraushält, globale Bündnisse eingeht und das Gemeinsame vor das Trennende stellt.

"Das ist die Lehre von Vietnam, vom Irak"

"Wir können nicht ständig versuchen, jedes Land, das in eine Krise fällt, zu übernehmen und wieder aufzubauen", sagte Obama. "Das ist eine Lehre von Vietnam, vom Irak - und wir sollten sie mittlerweile gelernt haben." Amerika werde heute "weniger von bösen Imperien als von zerfallenden Staaten bedroht." Der Nahe Osten durchlaufe einen Wandel, der "sich über eine Generation hinziehen wird und von Konflikten herrührt, die Jahrtausende zurückliegen." Bei Fragen von globaler Bedeutung "werden wir die Welt mobilisieren, um mit uns zu arbeiten", sagte der Präsident. Das sei Amerikas Zugang zu "Konflikten wie Syrien", wo die USA "internationale Bemühungen anführen, um dieser zerstörten Gesellschaft dabei zu helfen, einen dauerhaften Frieden anzustreben."

Obama spielte ferner die Bedeutung der Terrororganisation des Islamischen Staates (IS) herunter. Zwar würde der IS ebenso wie al-Qaida eine "direkte Bedrohung für unser Volk". Doch er "bedrohe nicht unsere nationale Existenz." Die IS-Anhänger müssten vielmehr "das genannt werden, was sie sind - Mörder und Fanatiker die ausgemerzt, gejagt und zerstört werden müssen."

"Die Welt ruft uns - nicht Peking oder Moskau"

Obama bemühte sich einmal mehr darum, den schmalen Grat zwischen Isolationismus und Interventionismus zu beschreiben, den er für den goldenen Weg vernünftiger amerikanischer Außenpolitik hält. "Die amerikanische Führungsrolle im 21. Jahrhundert ist keine Wahl dazwischen, den Rest der Welt zu ignorieren, außer wenn wir Terroristen töten, und jede Gesellschaft, die sich auflöst, zu besetzen und wiederaufzubauen."

Michelle Obama lauscht den Ausführungen ihres Mannes.
Michelle Obama lauscht den Ausführungen ihres Mannes.(c) Bloomberg (Pete Marovich)

Amerika sei weiterhin die mächtigste Nation der Welt, betonte Obama an die Adresse republikanischer Präsidentschaftsbewerber wie Donald Trump und Ted Cruz, die ihre Kampagnen darauf gründen, dass die USA während Obamas Amtszeit an Bedeutung verloren hätten. "Wir geben mehr für unser Militär aus als die nächsten acht Nationen zusammen. Um welche wichtige internationale Frage es auch geht: die Völker der Welt suchen nicht in Peking oder Moskau nach Führung - sie rufen uns."

Verdeckte Kritik an Trump und Cruz

Von dieser Warte einer amerikanischen Vorbildwirkung in der Welt kritisierte Obama die moslemfeindlichen Äußerungen des Baumilliardärs Trump und des texanischen Senators Cruz, auch wenn er die beiden nicht beim Namen nannte. "Darum müssen wir eine Politik ablehnen, die Menschen wegen ihrer Rasse oder Religion ins Visier nimmt. Da ist keine Frage der politischen Korrektheit. Das ist eine Frage des Verständnisses davon, was uns groß macht. Die Welt hat nicht bloß wegen unseres Arsenals Respekt vor uns; sie respektiert uns wegen unserer Diversität und unserer Offenheit und wegen der Art und Weise, wie wir jeden Glauben respektieren."

Trump fordert, allen Moslems auf unbestimmte Zeit die Einreise in die USA zu verbieten und bereits im Land anwesende Moslems zu registrieren. Cruz schlägt in seiner Wahlkampagne in dieselbe Kerbe und erklärt, man müsse die syrischen und irakischen Gebiete, in denen der IS herrscht, so lange mit Flächenbombardements attackieren, bis der Wüstensand glüht.

Aufruf zur politischen Reform

Bemerkenswert offen gestand Obama schließlich ein, dass ihm sein Ziel, die Gräben zwischen den beiden Parteien zu schließen, entglitten sei: "Es ist eine der wenigen Sache, die ich in meiner Präsidentschaft bedauere, dass der Hass und das Misstrauen zwischen den Parteien mehr statt weniger geworden sind." Der Präsident wandte sich direkt an die Amerikaner und rief zu einer grundlegenden Erneuerung des politischen Systems auf. "Bessere Politik erfordert nicht, dass wir in allem übereinstimmen müssen. Aber die Demokratie erfordert ein Grundvertrauen zwischen ihren Bürgern. Ohne den Willen zum Kompromiss kommt sie zum Stillstand. Unser öffentliches Leben verkümmert, wenn nur die extremsten Stimmen Aufmerksamkeit erhalten."

Obama rief zu einer Reform des Wahlrechts auf, allen voran des manipulativen Zuschnitts fast aller Wahlbezirke, welche die Kongresswahlen in einem Großteil der 50 US-Teilstaaten zu praktisch unangefochtenen Rennen der jeweiligen demokratischen oder republikanischen Amtsinhaber machen. Und er rief zu einer Neuordnung der Politikfinanzierung auf: "Wir müssen den Einfluss des Geldes in unserer Politik verringern, damit nicht eine Handvoll von Familien und versteckten Interessengruppen unsere Wahlen finanzieren können."

US-Präsident Obama bei seiner Rede.
US-Präsident Obama bei seiner Rede.(c) Bloomberg (Drew Angerer)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Barack Obamas Vermächtnis für Hillary Clinton

Die Ex-Außenministerin müsste als Präsidentin manches ausbügeln.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.