Merkels Kritiker jubeln, sie hält ihren Kurs

German Chancellor Merkel attends a session of the German lower house of parliament, the Bundestag, in Berlin
German Chancellor Merkel attends a session of the German lower house of parliament, the Bundestag, in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Die CSU sieht sich durch Österreichs Plan für eine Obergrenze gestärkt, auch aus der CDU gibt es positive Reaktionen. Doch Angela Merkel strebt weiter eine europäische Lösung an.

Berlin. Es war einer jener seltenen Momente, in denen die Spitzenmeldung sämtlicher Nachrichtensendungen Deutschlands aus Österreich kommt, und auch die deutschen Nachrichtenportale haben am Mittwoch die österreichische Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik als Top-Story gebracht – dass nämlich der südliche Nachbar in Eigenregie einfach eine Obergrenze für Flüchtlinge beschlossen hat – auch, wenn die Sprachregelung von Bundeskanzler Werner Faymann mit „Richtwert“ eine andere ist.

Der Schritt sei mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgesprochen gewesen, hatte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gesagt. Doch die zeigte sich nur bedingt begeistert. Im Gegenteil, sie wies die Forderung nach einem raschen Kurswechsel zurück und lehnte auch weiter eine Obergrenze ab. Und das inmitten eines harten Umfelds, nämlich bei der Winterklausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth, zu der sie gekommen war, um über das weitere Vorgehen in der Flüchtlingspolitik zu sprechen. „Worin wir uns einig sind, ist, dass wir die Zahl der ankommenden Flüchtlinge spürbar und nachhaltig reduzieren wollen“, sagte sie vor Beginn der Gespräche. Sie betonte aber, man solle bei den Fluchtursachen ansetzen und eine europäische Lösung finden. Dazu gehörten etwa Regierungskonsultationen mit der Türkei, die für Freitag geplant sind, eine Geberkonferenz in London am 4. Februar, bei der es um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Syrien, Jordanien, und dem Libanon gehen soll. Und schließlich werde man auch beim kommenden EU-Rat das Thema ansprechen müssen. „Danach können wir eine Zwischenbilanz ziehen, eine weitere Zwischenbilanz ziehen, und dann sehen, wo wir stehen.“

In der CSU tobte man, hatte man sich doch angesichts des österreichischen Plans Rückenwind für die eigenen Pläne erwartet – noch am Vormittag hatte man den Österreichern Applaus gezollt. „Die Österreicher machen's. Also müssen wir es auch machen“, hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gesagt. Und sich schon in Sicherheit gewogen: „Ja, Punkt“, hatte er auf die Frage geantwortet, ob Merkel ihre Flüchtlingspolitik nun ändern würde. Allein, sie tat es dann doch nicht. Insofern hatte sich CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer als besserer Prophet hervorgetan. Er hatte in Kreuth bereits im Vorfeld der Klausur gesagt, er rechne nicht mit einem plötzlichen Kurswechsel.

„Ein schwerer Fehler“

In der Sitzung selbst musste die Kanzlerin dann auch heftige Kritik aushalten. Mehr als ein Dutzend Abgeordnete warfen ihr schwere Versäumnisse vor. Wie Teilnehmer berichteten, sprach Finanzminister Markus Söder davon, dass die Lage aus dem Ruder gelaufen sei. Die Grenzen offen zu lassen, sei ein „schwerer Fehler“. Und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kritisierte demnach, dass die Grenzkontrollen nicht einmal das Ausmaß wie während des G7-Gipfels im Vorjahr hätten.

Am Ende forderte die Landtags-CSU ungeachtet von Merkels Auftritt eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen. Werden es mehr, sollen die Menschen an der Grenze abgewiesen werden. Ebenfalls zurückgewiesen werden sollen Flüchtlinge, die aus sicheren Nachbarstaaten einreisen wollen. Punkte wie diese wurden in einem Zwölf-Punkte-Plan in Kreuth beschlossen.

Kritiker von Merkels Kurs sitzen aber nicht nur in der CSU. So bezeichnete etwa Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender des EU-Ausschusses im Bundestag, die österreichische Entscheidung als „verständlich, nachvollziehbar und begrüßenswert“. Er erwarte sich, sagte er zur „Presse“, dass sich dadurch auch die Flüchtlingsströme nach Deutschland verringern. „Durch die vorgelagerte österreichische Grenze ist womöglich etwas Druck weg.“ Hätte umgekehrt Deutschland eine solche Entscheidung getroffen, wäre Österreich massiv betroffen gewesen. Das hätte man nicht gewollt. Letztlich sei es aber gar keine freie Entscheidung Österreichs gewesen – vielmehr hätte die Unsolidarität anderer Länder zu einer solchen Entscheidung gezwungen. „Entweder gibt es eine Lösung mit Verteilquoten, oder es gibt keine Lösung.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach rief schließlich die Bundesregierung dazu auf, ihre bisherige Politik zu ändern. „Die Entscheidung Österreichs sollte dazu beitragen, dass wir auch bei uns die Dinge nüchterner sehen.“

Der deutsche Vizekanzler, Sigmar Gabriel (SPD), sieht in der österreichischen Entscheidung ein Signal, dass einzelne Länder die Flüchtlingskrise nicht bewältigen können. Er äußerte sich aber pessimistisch, dass es innerhalb der EU zu einem solidarischen Vorgehen kommen werde und Flüchtlinge auf alle Mitgliedstaaten aufgeteilt werden. Dafür, meinte er, gebe es bei der Mehrheit der EU-Staaten keine Bereitschaft.

Gauck: „Begrenzung nicht unethisch“

Zuvor hatte es unerwartete Schützenhilfe für einen härteren Kurs vom deutschen Bundespräsidenten, Joachim Gauck, gegeben. Er sagte in einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass eine Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten nicht „per se unethisch“ sei: „Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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