19 Jahre nach ihrem ersten Grand-Slam-Titel gewann Martina Hingis, 35, bei den Australian Open den Doppelbewerb. Sie sagt: „Es fühlt sich an wie in einem anderen Leben.“
Melbourne. Martina Hingis kennt den Melbourne Park, sie war schon einige Male hier. Vor 21 Jahren etwa, als sie 14-jährig mit ihrem Erstrundensieg zur jüngsten Spielerin avancierte, die jemals ein Grand-Slam-Match gewinnen konnte. Oder zwei Jahre später, 1997 – sie holte ihren ersten von fünf Majortiteln. Die Schweizerin galt als Tenniswunderkind, das nicht mit Schlaghärte, sondern vielmehr mit spielerischer Intelligenz brillierte. Keine verstand das Spiel besser, sie antizipierte einzigartig, in Erinnerung blieb vor allem ihr Geschick beim Spiel mit extremen Winkeln.
209 Wochen führte Hingis die Einzel-Weltrangliste an. Eine mögliche Fortsetzung verhinderten nach der Jahrtausendwende vermehrte Verletzungssorgen. Im Februar 2003, mit nur 22 Jahren, gab die Schweizerin aufgrund chronischer Fußprobleme ihren Rücktritt bekannt. Es folgte ein erstes Comeback (2006) und ein abermaliger Rücktritt (2007), begleitet vom langen Schatten einer zweijährigen Dopingsperre (Kokain). Fortan zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, sie reflektierte und kam zu der Erkenntnis, dass ihre Reise so nicht enden konnte. Seit rund zwei Jahren greift Hingis nun wieder regelmäßig zum Racket, spielt Doppel- und Mixed-Turniere. Hingis hat nichts verlernt: „Ich habe Millionen von Bällen geschlagen, diese Erfahrung hilft.“
Vor zwei Wochen übernahm sie erstmals seit über 15 Jahren wieder die Spitzenposition der Doppel-Weltrangliste, viel wichtiger aber sei es ihr, „das beste Team zu sein“. Ein Team bildet die mittlerweile 35-jährige Hingis mit der Inderin Sania Mirza, 29. Am Freitag gewann das Duo durch einen 7:6(1)-6:3-Finalerfolg über die Tschechinnen Andrea Hlaváčková und Lucie Hradecká die Australian Open, es war der 36. Sieg in Folge, der dritte Grand-Slam-Titel en suite nach Wimbledon und den US Open. „Unser Märchen geht weiter“, sagt Hingis, die das alte, neue Leben auf der Tour in vollen Zügen genießt. „Das fühlt sich an wie in einem anderen Leben. Ich kann mit Sania alles noch einmal erleben, wie früher.“ Schmerzen versucht sie auszublenden, es schade nicht, „sich von Zeit zu Zeit in den Hintern zu kneifen und sich zu sagen: ,Hei, du hast ein tolles Leben, du kannst reisen, du verdienst Geld mit dem, was du am liebsten machst.‘“ Eine Einzel-Karriere strebe sie keine mehr an. „Ich will mich nicht mehr abrackern müssen. Ich bin lieber an der Spitze, so wie jetzt im Doppel, als irgendwo im Mittelfeld herumzugurken“, sagte Hingis vor wenigen Tagen der „Basler Zeitung“. Fragen, wie lang sie noch spielen werde, lässt sie offen. „Ich bin kein Planungsmensch“, sagt Hingis. „Klar ist nur, dass Tennis meine Welt ist.“
ZUR PERSON
Martina Hingis (35) gewann an der Seite der Inderin Sania Mirza die Doppel-Konkurrenz bei den Australian Open. Es war der 21. Grand-Slam-Titel (fünf Einzel, zwölf Doppel, vier Mixed) in der Karriere der Schweizerin, die im Sommer bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im Doppel und Mixed (mit Roger Federer) spielt. [ AFP ]
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2016)