Angelique Kerber bezwang im Finale der Australian Open Serena Williams und sorgte für den ersten deutschen Major-Titel seit 17 Jahren."Ein Traum ist wahr geworden." Die unterlegene Weltranglistenerste muss weiter auf den Rekordsieg warten.
Es war eine magische Stunde für das deutsche Tennis, die wohl größte Sensation seit Boris Beckers Triumph in Wimbledon 1985. Angelique Kerber setzte sich im Finale der Australian Open überraschend mit 6:4, 3:6, 6:4 gegen die favorisierte Serena Williams durch und sorgte für den ersten deutschen Major-Sieg seit Steffi Graf bei den French Open 1999. Die gebürtige Bremerin ist zudem erst die zweite Deutsche nach Graf, die in der Open Era (seit 1968) ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnte. „Ich war in der ersten Runde mit einem Bein schon im Flugzeug, und nun stehe ich hier“, sagte Kerber nach ihrem Premierenerfolg unter Tränen und erinnerte an den abgewehrten Matchball gegen die Japanerin Misaki Doi. „Ich habe eine zweite Chance bekommen und genützt. Ein Traum ist wahr geworden.“
Williams scheiterte hingegen zum zweiten Mal in Folge am rekordträchtigen 22. Major-Sieg, mit dem sie in der ewigen Bestenliste mit Graf gleichziehen würde. Die Nummer eins der Welt bewies in dieser bitteren Stunde jedoch großen Sportsgeist und zeigte ehrliche Freude für die Siegerin. „Angi, gratuliere. Du hast so toll gespielt, du hast es wirklich verdient. Ich freue mich für dich, dass du hier gewonnen hast. Genieß es!“, sagte die 34-Jährige. Die Chance auf den Grand Slam, den Williams im Vorjahr bei den US Open verpasst hat, ist damit heuer schon nach dem ersten Turnier abgehakt, auch der Golden Slam (alle vier Majors und der Olympiasieg in einem Jahr) bleibt Graf (1988) vorbehalten.
Verkehrte Rollen
Eigentlich schienen die Rollen in diesem Endspiel klar verteilt, doch war es nicht Debütantin Kerber, sondern Williams, die nervös und angespannt wirkte. Obwohl die Weltranglistenerste im Vorfeld betont hatte, nicht an den Rekord denken zu wollen, wirkte sie von der historischen Chance gehemmt. 23 unerzwungene Fehler und eine stark spielende Gegnerin bedeuteten dann nach 39 Minuten auch den ersten Satzverlust der US-Amerikanerin im Turnierverlauf. Im zweiten Durchgang steigerte sich Williams, leistete sich deutlich weniger Fehler und stellte nach dem Break zum 3:1 schließlich den Ausgleich her.
Doch Kerber zeigte sich davon unbeirrt, blieb mutig und wurde mit dem frühen Break zum 2:0 belohnt. Allerdings schlug Williams umgehend mit dem Re-Break zurück – ein Rückschlag, der Kerber nur noch mehr anzuspornen schien. Mit traumhaften Stoppbällen führte sie die US-Amerikanerin teilweise regelrecht vor und schaffte das Break zum 4:2. Beim Stand von 5:3 schlug Kerber zum Matchgewinn auf, dieses eine Mal aber spielten die Nerven nicht mit. Wenig später war es jedoch vollbracht, nach 2:08 Stunden verwandelte sie den ersten Matchball.
Kerbers Triumph ist auch Steffi Graf zu verdanken. Die Grande Dame des deutschen Tennis half ihrer Landsfrau im vergangenen Jahr mit Ratschlägen und gemeinsamem Training in Las Vegas durch eine Sinnkrise. „Sie hat alle meine Zweifel zerschlagen“, sagte die 28-Jährige über die Zusammenarbeit mit ihrem Jugendidol. Nun ist Kerber Deutschlands neuer Sport-Star, Gratulationen aus aller Welt erreichten sie. So schrieb etwa Martina Navratilova auf Twitter: „Ich habe vor dem Match gesagt, Kerber muss das Spiel ihres Lebens machen. Sie hat es getan. Wow – Glückwunsch.“
Kerber darf sich zudem über den Siegerscheck von 3,4 Millionen australischen Dollar (2,21 Millionen Euro) freuen und wird im WTA-Ranking von Rang sechs auf Rang zwei klettern. Eine lange Feiernacht und ein Bad im Yarra-River standen ihr bevor – darum hatte sie vor dem Finale gewettet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)