Theranos: Aufstieg und Fall eines Superstars

(c) Bloomberg (David Paul Morris)
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Als "jüngste Selfmade-Milliardärin der Welt" wurde Elizabeth Holmes von einflussreichen Förderern und Medien hochgejubelt, Kritik an Intransparenz beiseite gewischt. Ihr Versprechen einer medizinischen Revolution liegt nun in Trümmern.

Das Schreiben der Behörde, datiert mit 25. Jänner, ist knappe vier Seiten lang und in sprödem Bürokratenenglisch verkündet es möglicherweise das Todesurteil über eines der faszinierendsten biotechnologischen Unternehmen aus Silicon Valley.

Die behördliche Prüfung von Theranos, eines milliardenschweren Blutdiagnostik-Anbieters, habe mehrere rechtliche Verstöße offengelegt, allen voran Praktiken, „die eine unmittelbare Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit der Patienten darstellen“. Im Schreiben der Centers for Medicare and Medicaid Services (das ist jene US-Behörde, die für die Kontrolle medizinischer Labors verantwortlich ist) wird dies als Situation beschrieben, „in der sofortige Korrekturen erforderlich sind“, weil ansonsten „Personen, die von dem Labor bedient werden, oder der Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit jederzeit ernsthafte Verletzungen, Schaden oder Tod“ drohen.

Ein Labor, dessen Bluttests möglicherweise Todesfolgen zeitigen: So etwas hört man als Geschäftspartner ungern. Was genau im Argen liegt, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Denkbar ist zum Beispiel, dass Tests der Blutgerinnung falsche Ergebnisse bringen. Das könnte bei Schlaganfallpatienten, denen auf Basis solcher Laborbefunde blutverdünnende Medikamente verabreicht werden, tödliche innere Blutungen verursachen.

Die Drogeriemarktkette Walgreens kündigte jedenfalls am Donnerstag an, bis auf Weiteres keine Blutproben an dieses Labor in Newark, Kalifornien, zu schicken. Zehn Tage hat Theranos nun Zeit, um der Behörde die Korrektur der Missstände zu stellen. Misslingt dies, drohen Sanktionen, die von täglichen Geldstrafen von 10.000 Dollar bis zur zwangsweisen Schließung reichen.

Diese Hiobsbotschaft stellt das Lebenswerk einer der schillerndsten Persönlichkeiten der amerikanischen Biotechnologiebranche in Frage. Als Elizabeth Holmes sieben Jahre alt war, zeichnete sie einen detaillierten Bauplan für eine Zeitmaschine. Mit neun Jahren las sie Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ in einem Zug durch. Als 16-Jährige sprach sie so fließend Mandarin, dass es gut genug für Spezialkurse an der Stanford University war (sie absolvierte den Lernumfang von drei Jahren Mandarin auf College-Niveau noch vor ihrem Highschool-Abschluss).

Ein paar Jahre später, mit 19 und nach nur einem Jahr Studium des Chemieingenieurwesens in Stanford, meldete sie ihr erstes Patent an: eine Testmethode, die aus nur einem Blutstropfen zahlreiche diagnostische Schlüsse zieht und diese Ergebnisse per drahtloser Internetverbindung an den behandelnden Arzt schickt. Ihr Professor drängte sie, das Studium zu beenden, bevor sie sich in den Dschungel von Silicon Valley stürzt. „Wozu?“, warf sie ihm entgegen. „Ich weiß bereits, was ich wissen will.“


Eine wie Steve Jobs. Holmes verließ die Uni und gründete ihre Firma: Theranos, eine Verknüpfung der Wörter Therapy und Diagnosis. Rasch offenbarte sich, dass die heute 32-jährige Holmes das Zeug zum Technologiestar hat. Das gereichte auch der Firma selbst zum kaufmännischen Nutzen. „Wir brauchten keine Werbung. Wir haben mit ihr die beste Publicity, die man kriegen kann“, frohlockte der frühere Konzernvorstand der Großbank Wells Fargo, Richard Kovacevich, der im Theranos-Aufsichtsrat sitzt. Nicht nur der schwarzen Rollkragenpullover wegen, die rasch zu ihrem Markenzeichen wurden, verglich man die Tochter eines in der politischen Szene von Washington ebenso wie in den besseren Kreisen der Westküste vernetzten Erfolgspaares bald mit Steve Jobs, dem verstorbenen Gründer von Apple. Holmes verbindet hohe Intelligenz mit jugendlicher Attraktivität und jener raunenden Geheimnistuerei, die auch Jobs' Ruhm als einer der wichtigsten Gründerfiguren unserer Zeit festigte.

Denn das Versprechen von Theranos klingt ebenso betörend, wie es Jobs' einstige Ankündigung einer völlig neuen Art der mobilen Kommunikation tat. Sie behauptet, mit ihrer Technologie den allein in den USA jährlich rund 70 Milliarden Dollar (64 Milliarden Euro) umfassenden Markt für medizinisch-diagnostische Bluttests revolutionieren zu können. Statt wie bisher mit einer für viele Menschen einschüchternden Nadel zuzustechen und mehrere Phiolen mit Blut zu füllen, die in aufwendigen Tests auf den Blutzuckergehalt, die Anzahl der Blutplättchen und andere wichtige Eigenschaften getestet werden, soll ein kleines Nadelpieksen in den Finger bloß einen Tropfen Blut liefern, aus dem die Maschinen und Computerprogramme von Theranos Hunderte von diagnostischen Erkenntnissen ziehen können. Statt 50 Dollar oder mehr für einen herkömmlichen Cholesterintest zu bezahlen, kostet der Test von Theranos bei Walgreens bloß 2,99 Dollar.

Doch Holmes hatte nicht nur eine gute Idee, sondern auch die persönlichen Kontakte, um Startkapital zu sammeln. Der Venture-Capital-Investor Timothy Draper, ein Nachbar und Freund der Familie, gab ihr die erste Million. Ein früherer Spitzenbanker und Studienkollege ihres Vaters machte sie mit dem Silicon-Valley-Magnaten Don Lucas bekannt, der einst mit seiner Investition in den Softwareentwickler Oracle auf eine Goldmine stieß. Lucas wiederum stellte Holmes dem Oracle-Gründer Larry Ellison vor, und beide Herren stiegen bei Theranos ein. In Summe hat Holmes mehr als 400 Millionen Dollar an Kapital gesammelt, Theranos wird mit rund neun Milliarden Dollar bewertet. Da sie knapp mehr als die Hälfte der Anteile hält, ist die Bezeichnung als „jüngste Selfmade-Milliardärin der Welt“, mit der sie vom Magazin „Forbes“ gekürt wurde, wohl zutreffend.


George Shultz und seine Freunde.
Doch schon seit einigen Jahren mehren sich die kritischen Stimmen. Sie geben zu bedenken, dass Holmes' Technologie in keinem renommierten wissenschaftlichen Journal einer kritischen Prüfung durch andere Forscher unterzogen wurde. John Ioannidis, ein Medizinprofessor an der Stanford University, kritisierte im Februar vorigen Jahres im renommierten „Journal of the American Medical Association“ die „Scheinforschung“ von Theranos. Darunter verstehe er ein Phänomen, das „in einer Mischung aus möglicherweise brillanten Ideen, aggressiven Unternehmensankündigungen und massenmedialem Hype eine totale Ungewissheit darüber erzeugt, welchen Belegen man trauen kann“.

Bedenklich ist auch die Unternehmensstruktur von Theranos. Im zwölfköpfigen Board, also gewissermaßen dem Aufsichtsrat, sitzt mit William Foege, dem pensionierten Direktor der Centers for Disease Control der US-Gesundheitsbehörde, ein einziger Mediziner mit fachlich einschlägiger Ausbildung. Doch Foege wird im März 80, und auch die meisten anderen Board-Mitglieder sind hochbetagt: allen voran der 95-jährige George Shultz, Finanzminister unter Richard Nixon und Außenminister unter Ronald Reagan; der 92-jährige Henry Kissinger, Nixons Außenminister; der 77-jährige frühere demokratische Senator Sam Nunn und der 88-jährige William Perry, Verteidigungsminister von Bill Clinton. Holmes hatte Shultz im Jahr 2011 bei einer Konferenz kennengelernt und an Bord von Theranos geholt. Shultz brachte ein halbes Dutzend seiner (sehr) alten politischen Freunde mit, die allesamt in der Hoover Institution an der Stanford University Beraterhonorarnoten legen. Acht der zwölf Aufsichtsräte sind ehemalige Politiker, hohe Beamte oder Militärs im Ruhestand. Welchen Einblick sie in das operative Geschäft von Theranos nehmen können, ist fraglich. „Sie hat eine ätherische Qualität, will sagen: Sie sieht aus wie 19“, schwärmte Kissinger gegenüber dem „New Yorker“. „Sie führt das Unternehmen mit intellektueller Dominanz. Sie kennt ihr Thema.“


Serienweise Flops. Schon vor dem fatalen Behördenbrief dieser Woche war die kaufmännische Zukunft von Theranos fragwürdig. Denn nach fast zwölf Jahren ist noch immer unklar, womit diese Firma eigentlich Geld verdienen und ihre hohe Bewertung rechtfertigen will, die sie ungefähr auf eine Ebene mit den beiden etablierten Branchenführern für Bluttests, die Unternehmen Quest und Laboratory Corporation of America, stellt.

Mehrere Geschäftsideen verliefen im Sand. Zunächst versuchte Holmes, Arzneimittelhersteller wie Pfizer und GlaxoSmithKline als Käufer ihrer Diagnosetechnologie für die klinischen Tests neuer Pharmazeutika zu gewinnen. Doch die Maschinen funktionierten nicht zuverlässig. Pfizer hat seine Zusammenarbeit vor Jahren beendet, GlaxoSmithKline erklärte, nie im Bereich klinischer Tests mit Theranos zusammengearbeitet zu haben.

Auch die nächste Idee, ein Diagnosegerät für den Hausgebrauch, war ein Fehlschlag. Theranos engagierte Produktdesigner von Apple, doch die Maschine war zu groß. Erfolglos blieb auch der Versuch, dem Pentagon tragbare Diagnosegeräte zu verkaufen. Sie waren ebenfalls zu schwer und zudem noch nicht behördlich zugelassen.

Wie es nun mit Theranos weitergeht, ist offen. Holmes enthält sich seit Mitte Dezember öffentlicher Aussagen. Sie hat zwei PR-Berater engagiert und den Leiter des problembehafteten Labors in Newark gefeuert. Die derzeitigen Bluttests laufen auf herkömmlichen, zugekauften Maschinen. Eine fundamentale Revolutionierung des Testwesens ist damit nicht möglich. „Wir müssen wachsen“, sagte Holmes Bruder Christian, Theranos' Leiter für Produktentwicklung vor einem Jahr zum „New Yorker“. „Wenn wir das nicht können, werden wir gekillt.“

Fakten

Theranos ist eine Firma mit Sitz in Palo Alto, Kalifornien, die Labordiagnosen erstellt. Aus einem Blutstropfen allein verspricht das Unternehmen, zahlreiche Befunde erarbeiten zu können. In mehreren Dutzend Drogeriemärkten in Kalifornien und Arizona konnte man bisher um 2,99 Dollar solche Tests erwerben.

Elizabeth Holmes hat Theranos mit 19 Jahren gegründet und auf einen Buchwert von neun Milliarden Dollar hochgezogen. Schwere Kritik von Aufsichtsbehörden wirft nun einen Schatten auf die Zukunft der Firma.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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